1116 Verwaltungsjurisdittion, Verwaltungsjustiz.
Statusrechte oder der Beschränkungen des Eigenthums oder der Forderungsrechte
(personne, res, actiones) zu bringen, wobei freilich eine Vereinigung über diese
Klaggruppen nicht einmal unter je zwei Autoren herzustellen war, und den Urhebern
der Systeme selbst die Ueberfülle von neuen Klagrechten einigermaßen beunruhigend
wurde.
Nach dem Vorgange von Baden ist diese Grundauffassung in dem Beamten-
thum und in den Kammern der Deutschen Mittelstaaten zur Herrschaft gelangt.
Da in den größeren Mittelstaaten durch einen Staatsrath für die Befestigung des
Verwaltungsrechts einigermaßen Sorge getragen war, so konnte eine Erweiterung des
Streitverfahrens nach jenen Gesichtspunkten ohne sonderliche Gefahr hinzutreten.
Nach Analogie der Statusrechte, der Eigenthumsbeschränkungen, der Schuldverhältnisse
wurde nun eine Anzahl streitiger Kommunal-, Steuerfragen und einzelne Streitfragen
des angewandten Polizeirechts mit einer sog. „Verwaltungsklage“ ausgestattet und
zur Entscheidung an Kollegialbehörden verwiesen, mit sehr zahlreichen Variationen
der Ausführung. Auf diesem Wege wurde in der That eine Reihe der dringendsten
Forderungen der Zeit nach einem „Verwaltungsstreitverfahren“ vorläufig befriedigt,
und nach Deutscher Weise gewöhnt man sich dann auch, das besondere Verwaltungs-
system des Landes als das normale anzusehen.
Allein bei aller Anerkennung der achtbaren Bestrebungen und Erfolge dieser
mittelstaatlichen Einrichtungen wird man auf die Dauer darin keine Befriedigung
finden, wegen der für einen Großstaat jedenfalls ungenügenden Gestalt, und wegen
ihrer unheilbaren Mängel sowol in der prinzipiellen Begründung wie in der sach-
lichen Begrenzung und in der praktischen Ausführung einer „V.“
Zunächst wegen des augenfälligen Mangels einer prinzipiellen Grund-
legung. Denn do fast jeder Verwaltungsakt irgend ein Interesse der Freiheit oder
des Vermögens der Individuen berührt, so entsteht auf diesem Wege eine unendliche
Kette von Klagen der Unterthanen gegen die Obrigkeit, ebenso unendlich wie die
habituellen Beschwerden des Deutschen über die „Verwaltung“, wie die Klagen des
Bürgers und Bauern über die Zumuthungen des „Staates“. Man kann sich da-
gegen nur helfen, indem man die Verwaltungsklage als eine aus einem rechtlich
anerkannten Individualinteresse entspringende actio definirt, womit man zu einem
reinen Zirkelschluß gelangt.
Eben daraus ergiebt sich ein Mangel jeder sachlichen Begrenzung. Denn
die Beschränkung auf „erhebliche“ Interessen der Freiheit oder des Vermögens
ist eine sehr vage; ein und dieselbe Klasse von Verwaltungsakten kann bald die
gewichtigsten, bald die geringfügigsten Interessen des Einzelnen berühren. Der indi-
vidualistische Charakterzug unserer Nation wird nie ein Ende finden in der Geltend-
machung des privaten Rechtskreises gegen die Staatsgewalt, wie dies auch an der
unabsehbaren Reihe der Verwaltungsbeschwerden und der weiland landständischen
gravamina sichtbar wird. Für diesen Standpunkt giebt es kein Ende: die extra-
vaganteste Ausdehnung der Verwoltungsklagen wird doch nur als Abschlagszahlung
für weitere Ansprüche gelten.
Endlich ergeben sich die mannigfaltigsten Mängel der praktischen Aus-
führung. Handelte es sich wirklich um den Schutz einzelner Individualrechte, so
wird die Rechtsprechung darüber auch folgerichtig für die ordentlichen Civilgerichte
beansprucht werden, und keine Zweckmäßigkeitsgründe — auch nicht die üblen Er-
fahrungen dieses Systems in Italien — werden den Fachjuristen von der Noth-
wendigkeit eines „Ausnahmegerichtes“ überzeugen. Es entsteht aber durch eine der-
artige Nebeneinanderstellung von Gericht und Verwaltung ein solcher Zwiespalt in
der Handhabung obrigkeitlicher Rechte, eine solche Inkongruenz zwischen der Ver-
waltungsrechtsprechung und der daneben stehenden Aufsichtsinstanz, und ein Forma-
lismus des Verfahrens, der mit dem Wesen des öffentlichen Rechts sich auf die
Dauer schwerlich vereinigen läßt.