1120 Verwaltungsjurisdiktion, Verwaltungsjustiz.
dem Entwickelungsgang des Deutschen Beschwerdesystems (vgl. d. Art. Beschwerde).
Die Natur des Rechtsmittels der querela blieb indessen bei allem Wandel unverändert.
Es war und blieb eine Nachprüfung verwaltungsrechtlicher Dekrete von
der Seite der Gesetzmäßigkeit, am meisten ähnlich dem civilprozessualischen Rechtsmittel
der Revision. Auch in der Handhabung durch die neugeschaffenen Verwaltungsbehörden
hat aber die Verwaltungsbeschwerde in den größeren Staaten Deutschlands sich
wirksam und würdig entwickelt, in gleichem Geist, in welchem sie einst bei den
Deutschen Reichsgerichten gedacht war und wie sie in den Englischen Verwaltungs-
gerichten noch heute gehandhabt wird. In beiden Ländern beruht sie auf dem
Gedanken, daß die Staatsgewalt um ihrer selbst willen eine gesetzmäßige, unpar-
teiische Handhabung des Verwaltungsrechts will; auf einer praesumtio juris et de
jure, daß die höchste Gewalt im Staat jederzeit Recht ertheilen will. Sie formirt
sich (in weiterer Entwickelung ebenso auch in England) dahin, daß die Verwaltungs-
stellen von unten heran zugleich die Prüfung des Rechtspunkts übernehmen und
den Parteien durch die verantwortliche Stellung der Beamten, deren Ständigkeit,
Kollegialität und kontradiktorische Verhandlung die Garantien des Gerichtsverfahrens
darbieten. — Es erscheint dabei zunächst als ein Vorzug des Deutschen Systems
vor dem Englischen, daß nach Wegfall der Reichsgerichte die Rechtsbeschwerde mit
der formlosen Anrufung der Aussichtsinstanz via gratiae zusammenfiel, und nun
ein und dieselbe Behäörde kraft ihrer freien Verwaltungsbefugniß im Stande
war, ein Verwaltungsdekret auch aus bloßen Gründen der Zweckmäßigkeit, Billig-
keit, Nachsicht im einzelnen Falle aufzuheben. Es entstand daraus ein einfaches,
rasches, kostenfreies Verfahren, von dem das Publikum in reichlichem Maße Gebrauch
machte. Eben daraus ergab sich nun aber ein Massensystem von Verwaltungs-
beschwerden, eine summarische, oft flüchtige Behandlung, eine Formlosigkeit, unter
welcher schon im Laufe des XVIII. Jahrhunderts die Idee eines Rechtsverfahrens in
Form und Sache sich verwischte, das Beschwerdesystem mit dem laufenden Verwal-
tungsdezernat zusammenfloß, und nunmehr zur „Verwaltung“ schlechthin gerechnet
wurde, — einigermaßen vergleichbar der stetig wachsenden Formlosigkeit, in welche
der Strafprozeß dieser Zeit überging. Die Reminiszenz an ein Rechtsverfahren
war schon erloschen, die Verwaltungsbeschwerde erschien bereits ziemlich unter-
schiedslos als eine Remedur aus Rechtsgründen, oder aus Billigkeit oder aus Gunst,
als mit den konstitutionellen Verfassungen die Parteibestrebungen mächtiger Klassen
an die Verwaltung herantraten und nunmehr in der biegsamen Gestalt der Verwal-
tungsbeschwerde ein wirksames Mittel erkannten, die obrigkeitlichen Gewalten ihren
Wahl-, Klassen= und Parteiinteressen dienstbar zu machen. An diesen Punkt und
in diesem Zusammenhang entstand das Bedürfniß, ein schwach gewordenes
Glied in der Ordnung der Verwaltung so zu verstärken, daß es seiner
Bestimmung wiederum genügen kann. In diesem Zusammenhange ist die neue
Preußische V. gedacht. Vor der Darlegung bedarf es aber noch der Uebersicht
III. der parlamentarischen Kontrolen der Staatsverwaltung. welche
in den alten landständischen Verfassungen schon stark entwickelt, durch die neuen
Repräsentativverfassungen sich verjüngt und gleichmäßig gestaltet haben. Sie bilden
nochmals eine dreifache Reihe:
1) Die Spezialkontrole, welche die Volksvertretung durch ihre Be-
schließungen über Petitionen, Anträge und durch Interpellationen übt, wie sie in
Deutschland mit großer Sorgfalt und Umständlichkeit gehandhabt wird. Steht den
Kammern auch kein Entscheidungsrecht über die streitige Auslegung der Verwaltungs-
gesetze zu, so ist doch ihr Votum eine so bedeutende Autorität, und ihre Censur in
öffentlichen Verhandlungen und unter der verfassungsmäßig gesicherten Preßfreiheit
eine so schwer wiegende, daß auch diese Kontrole zur Abhülfe im Einzelfall, sowie
in ihrer vorbeugenden Wirkung gegen Verwaltungsmißbräuche kaum hoch genug
angeschlagen werden kann.