Vis major. 1151
von dem sich jeder Vernünftige nach der Lage des Falles sagen muß, daß die Ver-
einbarung einer demselben Widerstand leisten sollenden Sorgfalt unsinnig wäre;
demnach ist v. m. ein derartiges äußeres Ereigniß (Naturereigniß, fremdes Ver-
brechen u. a.), dessen Vermeidung durch Vorkehrungen, welche zu dem beabsichtigten.
Erfolge nach der allgemeinen Anschauung in einem vernünftigen Verhältnisse stehen,
unmöglich ist; v. m. ist also ein entweder nicht vorauszusehendes oder nach den
Umständen des Falles nicht abzuwendendes Ereigniß, dessen Würdigung stets von
den thatsächlichen Einzelheiten abhängt. (So auch das ROSG., demnach z. B.
unter besonderen Umständen des einzelnen Falles Schadenfeuer und die ausnahms-
weise nicht vorhergesehene und nicht vorhersehbare Gewalt eines Stromstrudels.)
Den hiermit angedeuteten Sinn hat „höhere Gewalt“ in den Deutschen Reichs-
gesetzen; so haftet der Frachtführer für den Schaden .. sofern er nicht beweist, daß
der Verlust oder die Beschädigung durch höhere Gewalt (v. m.) oder durch die
natürliche Beschaffenheit des Guts.. entstanden ist (HGB. Art. 395; für Eisen-
bahnen fixirt in Art 423; Code de commerce art. 103: „le voiturier est garant
de la perte des objects à transporter hors les cas de force majeure“. Hierzu
Thöl, a. a. O. 8§ 27; die Entscheidungen des RO-##. bei Fuchsberger,
S. 754—757; ferner Code de commerce art. 97, 98: Haftung des commissionaire
pour les transports par terre et par eau). So haftet seehandelsrechtlich der Ver-
frachter für den Schaden ... sofern er nicht beweist, daß der Verlust oder die Be-
schädigung durch höhere Gewalt (v. m.) oder durch die natürliche Beschaffenheit der
Güter .. . entstanden ist (HGB. Art. 607; ebenso Code de commerce art. 222, 230;
Lewis, Deutsches Seerecht, I. S. 237 ff. und die dort cit. Lit.; ebenso ist die
Haftung für aufgegebenes Seepassagiergut gestaltet, HGB. Art. 674; vgl. auch
Code de commerce art. 277..). So bleibt die Verbindlichkeit der Postverwaltung
zur Ersatzleistung ausgeschlossen, wenn der Verlust . b) durch „die unabwendbaren
Folgen eines Naturereignisses“ herbeigeführt worden ist (s. Deutsches Postgesetz
vom 28. Okt. 1871). So haftet, wenn bei dem Betriebe einer Eisenbahn ein
Mensch getödtet oder körperlich verletzt wird, der Betriebsunternehmer für den da-
durch entstandenen Schaden, sofern er nicht beweist, daß der Unfall durch höhere
Gewalt oder durch eigenes Verschulden des Getödteten oder Verletzten verursacht ist
(Haftpflichtgesetz voem 7. Juni 1871 § 1; vgl. hierzu Eger's Kommentar und
die Entsch. des Reichsgerichts Bd. I. S. 253, 254; Oesterr. Haftpflichtgesetz
vom 5. März 1869 § 2: „Von dieser Ersatzleistung wird die Unternehmung
nur dann und nur in dem Maße befreit, als sie beweist, daß die Ereignung
durch einen unabwendbaren Zufall Thöhere Gewalt — v. m.)] oder durch eine un-
abwendbare Handlung einer dritten Person, deren Verschulden sie nicht zu ver-
treten hat, oder durch Verschulden des Beschädigten verursacht wurde“). Höhere
Gewalt als gegen Nachtheile des Ablaufs gewisser gesetzlicher Fristen schützend, wird
reichsgesetzlich erwähnt in § 49 der Gew. O. vom 21. Juni 1869 und in § 16 des
Nes., betr. die Nationalität der Kauffahrteischiffe, vom 25. Okt. 1867. —
Was den Einfluß der v. m. auf die Rechtsfolgen der Unterlassung wechsel-
rechtlicher Akte anlangt, so behandeln mehrere außerdeutsche W. R. die durch
V. m. verursachten Verzögerungen der Präsentation oder der Protesterhebung nicht
als regreßhindernde Verspätung; nach Französ. Recht bildet v. m. einen Exkusations-=
grund in Fällen der Nichterfüllung wechsfelrechtlicher Verpflichtungen; allein nach
Deutschem W. R. befreit die Berufung auf höhere Gewalt nicht von den Nachtheilen
der durch sie eingetretenen Versäumniß; ist die Präsentation und Protesterhebung
durch höhere. Gewalt unmöglich gemacht, so trifft der daraus entspringende Nachtheil
nicht den Regreßpflichtigen (dieser wird vielmehr befreit, wenn und weil die formelle
Voraussetzung seiner Haftung, die rechtzeitige Protestirung — gleichviel weshalb —
unterblieb), sondern den Inhaber des Wechsels; denn „eine fehlende Form wird
nicht durch Thatsachen ersetzt, welche den Mangel derselben entschuldigen“ (Thöl).