1168 Vollstreckung der Strafurtheile.
Straf PO. verlangt, damit ein Urtheil vollstreckt werden kann, daß dasselbe für alle
zur Einlegung von Rechtsmitteln berechtigten Personen rechtskräftig geworden sei.
Die Härte, die darin für den zu einer Freiheitsstrafe Verurtheilten liegt, daß das
für ihn bereits rechtskräftige Urtheil noch nicht zu vollstrecken ist, weil z. B. von
der Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittel eingelegt ist, wird dadurch gemildert, daß
auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe unverkürzt diejenige Untersuchungshaft anzu-
rechnen ist, seitdem das Urtheil für ihn rechtskräftig geworden ist (StrafP O.
§ 482). — Da die Rechtskraft des Urtheils durch Einlegung eines Rechtsmittels
nur so weit gehemmt wird, als es angefochten ist, so kann ein Urtheil theilweise
rechtskräftig werden. Es fragt sich, ob ein solches Urtheil bereits vollstreckt werden
kann. Diese Frage ist zu verneinen. Es giebt jedoch Fälle, in welchen ein theil-
weise rechtskräftiges Urtheil ohne praktische Unzuträglichkeiten vollstreckt werden kann.
Dies ist zunächst der Fall, wenn nur einer von mehreren Angeklagten die Revision
eingelegt hat. Obgleich hier noch eine Abänderung des Urtheils zu Gunsten der
übrigen Angeklagten stattfinden kann (StrafP O. § 397), wird mit der V. gegen die
letzteren beggnnen werden können, wenn sie keinen Widerspruch hiergegen erheben.
In gleicher Weise wird zu verfahren sein, wenn ein Angeklagter in einem Urtheile
wegen mehrerer strafbarer Handlungen verurtheilt und das Urtheil wegen einer straf-
baren Handlung rechtskräftig geworden ist. Es ist dies jedoch nur zulässig, wenn
nicht auf eine Gesammtstrafe zu erkennen ist. Ueber die angeregten Fragen vgl.
bes. Voitus, Kontroversen, Bd. II. S. 29 ff.
3. Vollstreckbarkeit des Urtheils. Oobgleich jedes rechtskräftige urtheil
an sich auch vollstreckbar ist, so können doch Gründe eintreten, welche der V. des
rechtskräftigen Urtheils derartig entgegenstehen, daß sie dieselbe aufheben (Tod —
abgesehen von der Geldstrafe — Verjährung, Begnadigung) oder wenigstens auf-
schieben. Todesurtheile können vor der Entschließung des Staatsoberhauptes, von
dem Begnadigungsrechte keinen Gebrauch machen zu wollen, nicht vollstreckt werden
(Strafm O. § 485). An schwangeren Personen ist ein Todesurtheil ebenfalls nicht
zu vollstrecken. Alle Strafen gegen Geisteskranke müßten ausgeschlossen sein; die
Deutsche StrafP O. erwähnt dies jedoch nur hinsichtlich der Todes= und der Freiheits-
strafen (Strafp O. §§ 485 Abs. 2, 487 Abs. 1). Die V. der Freiheitsstrafen ist
außerdem noch aufzuschieben, wenn hierdurch eine nahe Lebensgefahr für den Ver-
urtheilten zu beforgen steht, oder derfelbe sich in einem körperlichen Zustande befindet,
bei welchem eine sofortige V. mit der Einrichtung der Strafanstalt unverträglich ist
(Straf- O. § 487 Abs. 2 und 3). Während aus den angegebenen Gründen der
Aufschub der V. von Amtswegen eintritt, kann auf Antrag des Verurtheilten die
V. aber nicht über 4 Monate aufgeschoben werden, sofern dem Verurtheilten oder
der Familie desselben erhebliche, außerhalb des Straszwecks liegende Nachtheile er-
wachsen (StrafPO. § 488). — Dieselben Gründe, welche den Beginn der V.
hindern, müßten auch eine Unterbrechung der bereits begonnenen V. bewirken; doch
enthält die Strafp O. hierüber keine Bestimmung. Ueber die Aufschiebung und
Unterbrechung erkannter Freiheitsstrafen aus ärztlichen Gründen vgl. bes. Baer in
der V.J. Schr. für gerichtl. Medizin N. F. Bd. XXXII. S. 52—74.
4. Die Vollstreckung erfolgt auf Grund einer von dem Gerichtsschreiber zu
ertheilenden, mit der Bescheinigung der Vollstreckbarkeit versehenen be-
glaubigten Abschrift der Urtheilsformel (Strafp O. § 483 Abs. 1). Bei Freiheits-
strafen ist die vollstreckende Behörde befugt, wenn der Verurtheilte sich nicht freiwillig
zum Antritt der Strafe stellt oder der Vorladung nicht Folge leistet, bzw. der
Flucht verdächtig ist, einen Vorführungs= oder Haftbefehl zu erlassen. Ist der Ver-
urtheilte flüchtig, oder hält er sich verborgen, so kann ein Steckbrief erlassen werden
(StrafP O. § 489). Bei der Todes= und der Geldstrafe sind diese Zwangsmittel
nicht erforderlich: ob sie analog bei der Vollstreckung des Verweises anwendbar sind,
ist bestritten, wird aber wol zu verneinen sein.