Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Voruntersuchung. 1195 
vorläufige Ermittelungen und Beweisaufnahmen zu unterziehen und das Thatsächliche 
so weit aufzuklären, daß verläßlich darüber entschieden werden kann, ob hinreichende 
Gründe vorhanden seien, den Angeschuldigten wegen jener That unter eine Anklage 
zu stellen, über welche in öffentlicher Hauptverhandlung zu entscheiden ist. Neben 
dieser Hauptaufgabe, welche bei jeder V. zu lösen ist, kommt es aber auch darauf 
an, für den Fall, daß eine Hauptverhandlung stattfinden muß, vorzusorgen, einer- 
seits dadurch, daß die Anwesenheit des Angeklagten und die Möglichkeit der Be- 
nutzung folcher Beweismittel, welche sonst verloren gehen würden, gesichert wird, 
andererseits dadurch, daß der Anklage, wie der Vertheidigung die zur Vorführung 
der Beweise in der Hauptverhandlung, beziehungsweise zur Stellung darauf abzielender 
Anträge, und dem zur Entscheidung über solche Beweisanträge berufenen Gerichte 
die hierzu nöthige Uebersicht über das Beweismaterial verschafft werde. Darin, 
daß eine bloße Uebersicht verschafft, die Möglichkeit einer erschöpfenden sach- 
gemäßen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung gewährt wird, liegt die Ab- 
grenzung gegenüber der Aufgabe der letzteren. Es handelt sich darum, daß schon 
vor der Hauptverhandlung die entscheidenden Thatsachen und die Personen, von 
welchen nähere Auskunft über dieselben zu erlangen sein wird, bekannt werden, 
nicht aber darum, daß diese Aussagen selbst in solchem Umfange zu Papier gebracht 
werden, daß auf die Beseitigung jeder Unvollständigkeit, jedes Zweifels, jedes Wider- 
spruches, auf die Klarstellung jedes Nebenumstandes hingewirkt und der Haupt- 
verhandlung eigentlich nur die Sichtung und Preäzisirung der bereits erschöpfend 
angesammelten Beweisergebnisse übrig bleibt. In diesem Sinne sprechen sich auch 
die Gesetze ausdrücklich aus. Die Oesterr. StrasP O. bezeichnet im § 91 Abf. 2 
als Zweck der V.: „die gegen eine bestimmte Person erhobene Anschuldigung einer 
strafbaren Handlung einer vorläufigen Prüfung zu unterwerfen und den Sachverhalt 
soweit ins Klare zu setzen, als es nöthig ist, um jene Momente festzustellen, welche 
geeignet sind, entweder die Einstellung des Strafverfahrens herbeizuführen oder die 
Versetzung in Anklagestand und die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung vor- 
zubereiten;" und im § 111 das. heißt es: „Die V. wird geschlossen, sobald die 
gepflogenen Erhebungen zureichen, um die Anordnung der Hauptverhandlung zu 
begründen und zugleich die zur vollständigen Vorführung der Beweismittel in der 
Hauptverhandlung erforderliche Uebersicht über dieselben erlangt ist.“ Im § 188 
der Deutschen StrafPO. findet sich zwar im Gegensatze hierzu nur eine negative 
Vorschrift: „die V. ist nicht weiter auszudehnen, als erforderlich ist, um eine Ent- 
scheidung darüber zu begründen, ob das Hauptverfahren zu eröffnen, oder der An- 
geschuldigte außer Verfolgung zu setzen sei. Auch sind Beweise, deren Verlust für 
die Hauptverhandlung zu besorgen steht, oder deren Aufnahme zur Vorbereitung 
der Vertheidigung des Angeschuldigten erforderlich erscheint, in der V. zu erheben.“ 
Allein wenn hier nur der einseitige Gesichtspunkt der Vorbereitung der Verthei- 
digung hervorgehoben ist, so ist klar, daß selbst von diesem Gesichtspunkte aus 
die Erhebung der Belastungsbeweise eine Nothwendigkeit sein kann, da das zu Wider- 
legende vorliegen muß, ehe man ans Widerlegen geht; es mag die vorliegende 
Fassung sich wol daraus erklären, daß angenommen wurde, es sei die Uebersicht 
über das Anklagematerial schon durch das Vorbereitungsverfahren zu präzisiren. 
Aus den Motiven zu dieser Gesetzesstelle ist nur zu ersehen, daß, mit Recht, vor 
Maßnahmen gewarnt wird, „welche darüber hinausgehen, die Möglichkeit zur Prüfung 
der Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit des angeregten Verdachtes zu prä- 
zisiren“", und „welche mindestens für eine nutzlose Verweitläuftigung des Verfahrens 
zu erachten, in der Regel aber sogar schädlich“ seien, „da sie der Hauptverhandlung 
vorgreifen und die Zuverlässigkeit sowie die Bedeutung der Ergebnisse derselben 
beeinträchtigen.“ So sehr dies zu billigen ist, so gewiß ist durch die V. die Ueber- 
sicht über das ganze Beweismaterial, nicht blos über Vertheidigungsbeweise herzu- 
stellen, und mit Recht bemerkt Löwe: „Diese Aufgabe sei um so wichtiger, je
	        
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