Voruntersuchung. 1195
vorläufige Ermittelungen und Beweisaufnahmen zu unterziehen und das Thatsächliche
so weit aufzuklären, daß verläßlich darüber entschieden werden kann, ob hinreichende
Gründe vorhanden seien, den Angeschuldigten wegen jener That unter eine Anklage
zu stellen, über welche in öffentlicher Hauptverhandlung zu entscheiden ist. Neben
dieser Hauptaufgabe, welche bei jeder V. zu lösen ist, kommt es aber auch darauf
an, für den Fall, daß eine Hauptverhandlung stattfinden muß, vorzusorgen, einer-
seits dadurch, daß die Anwesenheit des Angeklagten und die Möglichkeit der Be-
nutzung folcher Beweismittel, welche sonst verloren gehen würden, gesichert wird,
andererseits dadurch, daß der Anklage, wie der Vertheidigung die zur Vorführung
der Beweise in der Hauptverhandlung, beziehungsweise zur Stellung darauf abzielender
Anträge, und dem zur Entscheidung über solche Beweisanträge berufenen Gerichte
die hierzu nöthige Uebersicht über das Beweismaterial verschafft werde. Darin,
daß eine bloße Uebersicht verschafft, die Möglichkeit einer erschöpfenden sach-
gemäßen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung gewährt wird, liegt die Ab-
grenzung gegenüber der Aufgabe der letzteren. Es handelt sich darum, daß schon
vor der Hauptverhandlung die entscheidenden Thatsachen und die Personen, von
welchen nähere Auskunft über dieselben zu erlangen sein wird, bekannt werden,
nicht aber darum, daß diese Aussagen selbst in solchem Umfange zu Papier gebracht
werden, daß auf die Beseitigung jeder Unvollständigkeit, jedes Zweifels, jedes Wider-
spruches, auf die Klarstellung jedes Nebenumstandes hingewirkt und der Haupt-
verhandlung eigentlich nur die Sichtung und Preäzisirung der bereits erschöpfend
angesammelten Beweisergebnisse übrig bleibt. In diesem Sinne sprechen sich auch
die Gesetze ausdrücklich aus. Die Oesterr. StrasP O. bezeichnet im § 91 Abf. 2
als Zweck der V.: „die gegen eine bestimmte Person erhobene Anschuldigung einer
strafbaren Handlung einer vorläufigen Prüfung zu unterwerfen und den Sachverhalt
soweit ins Klare zu setzen, als es nöthig ist, um jene Momente festzustellen, welche
geeignet sind, entweder die Einstellung des Strafverfahrens herbeizuführen oder die
Versetzung in Anklagestand und die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung vor-
zubereiten;" und im § 111 das. heißt es: „Die V. wird geschlossen, sobald die
gepflogenen Erhebungen zureichen, um die Anordnung der Hauptverhandlung zu
begründen und zugleich die zur vollständigen Vorführung der Beweismittel in der
Hauptverhandlung erforderliche Uebersicht über dieselben erlangt ist.“ Im § 188
der Deutschen StrafPO. findet sich zwar im Gegensatze hierzu nur eine negative
Vorschrift: „die V. ist nicht weiter auszudehnen, als erforderlich ist, um eine Ent-
scheidung darüber zu begründen, ob das Hauptverfahren zu eröffnen, oder der An-
geschuldigte außer Verfolgung zu setzen sei. Auch sind Beweise, deren Verlust für
die Hauptverhandlung zu besorgen steht, oder deren Aufnahme zur Vorbereitung
der Vertheidigung des Angeschuldigten erforderlich erscheint, in der V. zu erheben.“
Allein wenn hier nur der einseitige Gesichtspunkt der Vorbereitung der Verthei-
digung hervorgehoben ist, so ist klar, daß selbst von diesem Gesichtspunkte aus
die Erhebung der Belastungsbeweise eine Nothwendigkeit sein kann, da das zu Wider-
legende vorliegen muß, ehe man ans Widerlegen geht; es mag die vorliegende
Fassung sich wol daraus erklären, daß angenommen wurde, es sei die Uebersicht
über das Anklagematerial schon durch das Vorbereitungsverfahren zu präzisiren.
Aus den Motiven zu dieser Gesetzesstelle ist nur zu ersehen, daß, mit Recht, vor
Maßnahmen gewarnt wird, „welche darüber hinausgehen, die Möglichkeit zur Prüfung
der Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit des angeregten Verdachtes zu prä-
zisiren“", und „welche mindestens für eine nutzlose Verweitläuftigung des Verfahrens
zu erachten, in der Regel aber sogar schädlich“ seien, „da sie der Hauptverhandlung
vorgreifen und die Zuverlässigkeit sowie die Bedeutung der Ergebnisse derselben
beeinträchtigen.“ So sehr dies zu billigen ist, so gewiß ist durch die V. die Ueber-
sicht über das ganze Beweismaterial, nicht blos über Vertheidigungsbeweise herzu-
stellen, und mit Recht bemerkt Löwe: „Diese Aufgabe sei um so wichtiger, je