Wahlgesetze. 1217
weitgehende Konzessionen gemacht. Hierher gehört vor Allem die Bestimmung, daß
der Reichstagsabgeordnete kein höheres Alter als der Wähler (25 Jahre) zu haben
brauche. Ebenso ist die Wählbarkeit von der Bedingung befreit, daß der Abgeordnete
in dem Wahlkreise seinen Wohnsitz haben müsse, und endlich sind auch Mitglieder
des stehenden Heeres, obgleich sie die aktive Wahlfähigkeit nicht besitzen, für wählbar
erklärt. Beschränkende, die Wählbarkeit betreffende Bestimmungen sind nur diese:
Während jeder im Deutschen Reiche wohnhafte Reichsangehörige wahlberechtigt ist,
ist nur derjenige Reichsangehörige wählbar, welcher seit mindestens Einem Jahre
einem zum Deutschen Reiche gehörigen Staate angehört, jedoch ohne daß er seinen
Wohnsitz zur Zeit der Erwählung innerhalb des Deutschen Reiches haben müsse.
Weiter kann Niemand zum Reichstagsabgeordneten gewählt werden, welcher bereits
Mitglied des Bundesraths ist. —
Die Geschichte des Wahlverfahrens oder des Wahlmodus in Deutschland zeigt
dieselben Wandlungen wie die Geschichte der aktiven und passiven Wahlfähigkeit.
Zur Zeit der alten Landstände war der Wahlmodus überall da, wo die Land-
stände gewählt wurden, die direkte Wahl, d. h. der meistens sehr enge Kreis der
Wahlberechtigten wählte unmittelbar aus seiner Mitte den Abgeordneten. Die
konservativen Wahl= und Verfassungsgesetze aus dem Anfange des Deutschen Kon-
stitutionalismus haben diesen älteren Wahlmodus meist behalten und konnten dies
auch im vollen Einklange mit ihrem Standpunkte thun, weil die älteren Verfassungen
die überkommene Ständetheilung zur Grundlage der Volksvertretung machten, die
Landstände in Gruppen theilten und jeder Gruppe die Wahl und Wählbarkeit aus-
schließlich zusprachen. Mit der fortschreitenden Ausdehnung der aktiven und passiven
Wahlfähigkeit wurde auch der Wahlmodus verändert; man glaubte nämlich, durch
eine Veränderung des Wahlverfahrens den Gefahren vorzubeugen, welche aus einer
Verallgemeinerung der Wahlberechtigung erwachsen könnten. Dieses Schutzmittel
glaubte man in der indirekten Wahl entdeckt zu haben, welche in Folge dessen auch
der von vielen neueren Deutschen W. (z. B. Preußen, Bayern, Baden u. s. w.)
angenommene Wahlmodus geworden ist. Hiernach haben alle Wahlberechtigten, die
sog. Urwähler, nachdem sie in der von der Verfassung vorgeschriebenen Weise berufen
und auf Grund der Wählerlisten als wahlberechtigt anerkannt worden sind, unter
der Leitung entweder eines von dem Landesherrn ernannten Wahlkommissars oder
der durch das Gesetz bestimmten obrigkeitlichen Personen aus ihrer Mitte Wahl-
männer zu wählen, welche alle Eigenschaften der aktiven Wahlfähigkeit besitzen und
überdies stets in dem betreffenden Abstimmungsbezirke wohnhaft sein müssen. Hierbei
ist es regelmäßig gestattet, daß der Urwähler sich selbst seine Stimme giebt. Diese
Wahlmänner haben dann, und zwar ohne auf ihren Wahlkreis beschränkt zu sein,
den Abgeordneten zu erwählen.
Weiter hat man sich in einzelnen Deutschen Staaten, insbesondere in Preußen
und Bayern, gegen die geheime Abstimmung erklärt, da man von der Einführung
der öffentlichen, von einem durch die Regierung ernannten Wahlkommissar zu Protokoll
genommenen Abstimmung erwartete, sie werde eine faktische Kontrole der für Wahl-
männer und Abgeordnete abgegebenen Stimmen ermöglichen.
Auch in Bezug auf das Wahlverfahren ist die Begründung des Norddeutschen
Bundes von bedeutendem Einflusse gewesen. Einmal ist die Wahl zum Reichstags-
abgeordneten direkt, d. h. der Abgeordnete wird unmittelbar von den in den Wähler-
listen der einzelnen Abstimmungsbezirke als wahlberechtigt anerkannten Personen ge-
wählt. Ferner ist die Abstimmung eine geheime, d. h. der Wähler hat einen zusammen-
gefalteten und nicht unterschriebenen, überhaupt in keiner Weise die Person des
Abstimmenden kenntlich machenden Wahlzettel, worauf der Name des Abgeordneten
zu schreiben ist, in eine Wahlurne zu werfen. Endlich müssen die Wahlzettel
außerhalb des Wahllokals mit dem Namen des Kandidaten versehen werden.
Schutzmittel gegen einen Mißbrauch dieses Wahlmodus sind einmal die Bestimmung,
v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon III. 3. Aufl. 77