Wahlvergehen. 1219
Verf. Urk. Art. 20, 21; W. vom 31. Mai 1869 ꝛc. Ein vollständiges Verzeichniß der in
Geltung befindlichen D W. giebt G. Ne# er, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts,
§ 99 Note 1; Wahlreglement vom 28. Mai 1870
Lit.: H. A. Zachariä, Deutsches Staats= und Bundesrecht, 3. Aufl. Bd. 1 625
bis 629, 638— 646. 660—664. — H. Zöpfl, Grundsätze des gemeinen Deutschen S#os
rechts, 5. Aufl. Bd. II. S. 255—283. —. Thudich chum, Verfassungsrecht des Norddeutschen
Bundes, Tüb. 1870, S. 13—17, 133—160, 599—606. voRi önne, Staatsrecht d. Deutschen
Reiches, Bd. 1 29 Bd. II. Abth. 2 S. 324—326. — Laband, Staatsrecht des Deutschen
Neiches, Bd. § 49. — G. Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, §§ 97—101,
129. — Austusn die Harsteln kuen des Partikularstaatsrechts von v. Rönne, Pözl,
v. Mohl. — Ferner: Fr. Wahlrecht und Wahlperfahren, Gipg, 1849. —
R. v. Mohl, Staatsrecht, Sokein und Politik, Bd. J. S. 333 ff. — G. Waitz, Grund-
züge der Politik, Kiel 1862, S. 219. — Schäffle, Die geheime Elimmes Zeitschr. für
ie gesammte Staatswissenschaft, 21. Jahrg. F. Brockhaus.
Wahlvergehen sind die Uebertretungen der Vorschriften, welche zum Schutze
des Wahlrechts erlassen sind. Sie gehören zu den Verbrechen und Vergehen in
Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher oder politischer Rechte. Ein Be-
dürfniß nach einem solchen Schutze ist erst in der neueren Zeit hervorgetreten. Es
liegt im Interesse des Staates, daß Jeder nach freiem Ermessen wählen und stimmen
kann und daß die vollzogenen Wahlen auch das richtige Ergebniß der Wahlhandlung
sind. Hieraus ergiebt sich, daß in doppelter Weise strafbare Handlungen begangen
werden können, einmal gerichtet gegen die Person des Wählers und dann gegen das
Wahlergebniß. — Muster, obgleich nicht mustergültig, waren für einige Deutsche
Part. Straf GB., auch für das Preußische, die Art. 109—113 des Code, die aber
durch spätere Spezialgesetze ergänzt und verbessert wurden. Das Deutsche Straf GB.
hat die betreffenden Vorschriften des Preußischen wesentlich verbessert und drei straf-
bare Handlungen als W. aufsgestellt (§§ 107—109), die sich übrigens nur auf in-
ländische Verhältnisse beziehen. Während § 107 von dem Wahlrecht spricht als
Ausfluß der staaatsbürgerlichen Rechte, findet sich in den §§ 108 und
109 das Wahlrecht in öffentlichen Angelegenheiten erwähnt. Beide Be-
griffe sind nicht identisch, sondern in dem ersteren ist auch der letztere enthalten, so
daß, wer in Ausübung seiner staatsbürgerlichen Rechte wählt, durch die drei citirten
Paragraphen, wer in öffentlichen Angelegenheiten wählt, nur durch die §§ 108 und
109 geschützt ist.
Die einzelnen Wahlvergehen sind:
1) Verhinderung eines Deutschen durch Gewalt oder Bedrohung mit
einer strafbaren Handlung (Verbrechen, Vergehen oder Uebertretung), in Aus-
übung seiner staatsbürgerlichen Rechte zu wählen oder zu stimmen
107). Hierher gehören nicht nur Wahlen zu gesetzgebenden Versammlungen,
sondern auch zu Gemeinde-, Kreis= und Provinzialvertretungen, dagegen nicht zu
Kirchenwahlen. Olshausen, S. 394 N. 1, rechnet auch die Gemeindewahlen
nicht hierhin. Subjekt dieser strafbaren Handlung kann auch der Ausländer,
Objekt nur der Inländer sein. Der angegebene Thatbestand umfaßt sowol den
Fall, wo eine Wahl oder Abgabe der Stimme vollständig verhindert wurde, als auch
den Fall, wo jenes nicht in der Weise erfolgen konnte, wie es der Wählende oder
Stimmende wollte. Nicht bestraft wird die Nöthigung zur Wahl. Vollendung
liegt vor, wenn die Verhinderung wirklich eingetreten ist. Für die obige strafbare
Handlung, bei der auch der Versuch bestraft wird, ist angedroht Gefängnißstrafe
nicht unter 6 Monaten oder Festungshaft bis zu 5 Jahren (d. h. Minimum 1 Tag
und nicht 6 Monate; anderer Meinung: Schütze, Lehrb., S. 259 Anm. 16).
2) Wahlfälf chung E 108) ist die vorsätzliche Herbeiführung eines unrich-
tigen Ergebnisses der Wahlhandlung oder die Verfälschung des Wahlergebnisses in
einer öffentlichen Angelegenheit. In § 85 des Preuß. Straf GB. waren als Hand-
lungen, durch welche die Wahlfälschung begangen werden konnte, aufgeführt, die Ver-
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