Wahrheitsbeweis. 1221
die Erbringung des W. nicht in dem Sinne dem Angeklagten ob, daß der Richter
nicht die Unerweislichkeit der gemachten Behauptung, wo dieselbe Thatbestandsmoment
ist, gerade so festzustellen die Aufgabe hätte, wie jeden andern, die kriminelle Ver-
schuldung des Angeklagten bestimmenden Umstand. Die Erweislichkeit der behaupteten
Thatsache muß also stets geprüft werden, wenn sie fraglich erscheint, auch wenn der
Angeklagte keine darauf bezüglichen Beweisanträge stellt (vgl. Oppenhoff, S. 408
N. 9 und die dort citirten Erkenntnisse oberster Gerichtshöfe; anderer Meinung:
v. Schwarze, S. 569).
Im Gegensatz zu früheren Gesetzgebungen, welche den W. nach den verschiedensten
Seiten und aus den verschiedensten Gründen zu beschränken suchten (vgl. besonders
Köstlin), ist im Deutschen ebenso wie im Preußischen Straf GB. das Recht, die
Wahrheit zu sagen, unbedingt anerkannt und als etwas Selbstverständliches unter-
lassen, darüber eine Bestimmung zu treffen. In § 192 des Straf GB. findet sich
nur die an sich überflüssige Vorschrift, daß der W. der behaupteten oder verbreiteten
Thatsache die Annahme einer Beleidigung nicht ausschließe, wenn die Form oder die
Umstände, unter welchen die Aeußerung gemacht, beleidigend sei, was Berner
(S. 460) treffend mit den Worten bezeichnet: „Man kann jede Wahrheit sagen,
aber man kann nicht jede Wahrheit in jeder Form sagen.“ Uebrigens genügt der
bloße animus iniuriandi nicht um die Behauptung einer erweislich wahren Thatsache
zu einer strafbaren Beleidigung zu machen, da darin allein eine rechtswidrige Ver-
letzung fremder Ehre niemals enthalten sein kann. Wol aber liegt eine solche vor,
wenn auf Grund einer wahren Thatsache ein verallgemeinerndes, beleidigendes Ur-
theil über eine Persönlichkeit gefällt, J. B. Jemand „Dieb“ gescholten wird, selbst
dann, wenn dem Betreffenden die Begehung eines Diebstahls nachzuweisen wäre,
oder mit der fraglichen Behauptung sonst beschimpfende Meinungsäußerungen ver-
bunden worden sind.
Der W. hat demnach bezüglich der verschiedenen Arten der Beleidigung ver-
schiedene Bedeutung:
1) Bei der einfachen Beleidigung (§ 185 des Straf GB.) wird der W. niemals
geeignet sein, die Schuld ganz auszuschließen. Doch darf er darum vom Gericht —
es sei denn, daß es sich um ein Schimpfwort handle — nicht ohne weiteres abge-
lehnt werden, schon deshalb nicht, weil der Ausfall desselben für die Strafzumessung
von Bedeutung sein kann. Das Gleiche gilt für den Fall, daß auf Grund des
§ 186 des Straf GB. Anklage erhoben wurde und der Richter annimmt, daß die
fragliche Aeußerung in jedem Falle eine einfache Beleidigung enthalte (vgl. das Ur-
theil des Reichsgerichts vom 11. Februar 1880 — Rechtsprechung I. S. 338,
Entsch. II. S. 160 —, welches in einer solchen Ablehnung eine unzulässige Be-
schränkung der Vertheidigung (Strafp# O. § 377 N. 81 findet).
2) Bei der übeln Nachrede (Straf GB. § 186) schließt der W. die Bestrafung
aus, die eintreten muß, wenn derselbe mißlang, gleichviel aus welchen Gründen,
also z. B. auch dann, wenn die Zeugen, welche die Wahrheit beweisen würden, von
einem ihnen etwa zustehenden Recht der Zeugnißverweigerung Gebrauch machten.
Darauf, ob der Angeklagte die Unerweislichkeit seiner Behauptung kannte oder die-
selbe für erweislich hielt, kommt nichts an (so mit ausführlicher Begründung
v. Schwarze S. 563 ff.). Uebrigens ist nicht die Erweislichkeit ein Strafaus-
schließungsgrund, sondern die Unerweislichkeit ein Thatbestandsmerkmal und bildet
also einen Theil der Schuldfrage, was auch mit Rücksicht auf § 262 der Straf PO.
von Wichtigkeit sein kann (vgl. das Urtheil des Reichsgerichts vom 13. Okt. 1880 —
Entsch. II. S. 380; anderer Meinung: Olshausen, S. 666 ff.). Es fehlt die
strafrechtliche Verschuldung, wenn die behauptete Thatsache wahr ist, als wahr darf
sie aber nur angesehen werden, wenn auch der Richter von dieser Wahrheit überzeugt
werden kann. Etwas Weiteres umfaßt das Erforderniß der Beweisbarkeit nicht, und
es gilt für dasselbe, wie im Strafprozeß überhaupt, das Recht der freien Beweis-