Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Wegeordnungen. 1297 
scheiden nach Augenschein über eine nöthig befundene Verbreiterung des Weges und 
lassen die Entschädigung dafür durch eine Jury feststellen. Die Quartalsitzungen 
der Friedensrichter endlich bilden die Beschwerdeinstanz der Verwaltung und der 
Rechnungslegung für alle Interessenten, beschließen über die Verlegung und Schließung 
eines Weges, nöthigenfalls mit Zuziehung einer Jury, und entscheiden auch über 
die streitige Wegebaulast elektiv mit den ordentlichen Gerichten. Eine Kontrol- 
instanz der Reichsgerichte ist vorbehalten nur für die streitige Wegebaupflicht und 
für die Wegesteuerreklamationen. — Die wirthschaftlichen Erfolge des Englischen Systems, 
welches einen der besser konservirten Theile des Selfgovernment darstellt, sind im 
Ganzen zufriedenstellend, ebenso wie für das Verwaltungssystem der Chausseen, für 
welche ein gemischter Verwaltungsrath von Friedensrichtern und Aktionären nach 
der Chausseeordnung 3. Georg IV. c. 126 und Lokalacten gebildet wird. 
In Frankreich hatte das ancien régime sein Augenmerk nur auf die Staats- 
straßen gerichtet, die mit bedeutenden Geldaufwendungen und durch das berüchtigte 
System der Wegefrohnden, corvées, verhältnißmäßig gut ausgestattet wurden. Für 
die Gemeindewege gab es nur einige Parlamentsedikte und Ordonnanzen der 
Intendanten. Nach dem Ausbruch der Revolution befaßte sich zwar die Gesetzgebung 
auch mit den Gemeindewegen, ermächtigte die Gemeinden zur Aufbringung der 
erforderlichen Mittel und Dienste, überließ aber die Ausführung dem Lokalinteresse 
der Gemeinden. Der daraus hervorgehende Zustand unglaublicher Vernachlässigung 
wurde ein Hauptgrund der zurückbleibenden Agrikulturentwickelung Frankreichs, und 
wurde als unvereinbar mit den heutigen Bedürfnissen der Gesellschaft bald nach der 
Julirevolution anerkannt. Das Gesetz vom 21. Mai 1836 hat die durch- 
greifende Hülfe gebracht mittels eines scharf durchgeführten Zwangssystems zur Neu- 
anlegung und baulichen Erhaltung der chemins vicinaux. Es ist dabei das 
Englische Wegesystem mehrfach nachgebildet; in Ermangelung eines obrigkeitlichen 
Selfgovernment mußte aber überall der Préfet und seine Unterbeamten als Organ 
des öffentlichen Interesses die verantwortliche Ausführung übernehmen. Der Preéket 
entscheidet über die Nothwendigkeit und Angemessenheit der Anlegung und Klassifikation 
eines öffentlichen Vizinalweges nach Anhörung des Munizipalraths. Er entscheidet 
über die Breite und nöthigenfalls Verbreiterung desselben, sowie über die Schließung 
des Weges. Er überwacht die Ausführung durch Wegeinspektoren, agents voyers, 
deren Gehalte der Generalrath zu bewilligen hat. Die Kosten werden (abgesehen 
von den seltenen Fällen, wo die laufenden Gemeindeeinkünfte dafür ausreichen) 
durch Zuschläge zu den Staatssteuern und durch Naturaldienste aufgebracht. Im 
Fall einer Säumniß der Gemeinde können mit gewissen Formalitäten die nothwen- 
digen Wegekosten zwangsweise auf den Gemeindehaushalt gebracht werden. Die 
Steuerzuschläge finden auf die vier direkten Staatssteuern bis zu einem 
Maximum von 5 Centimes statt. Die Naturaldienste werden auf jährlich drei 
Tagearbeiten bemessen, welcher jeder chef de famille ou d’établissement für sich, 
für jedes männliche Familienglied im Alter von 18—60 Jahren, für jeden Diener, 
jedes Gespann und jedes Zug= oder Sattelthier zu leisten hat. Diese Naturaldienste 
mögen aber mit Geld abgelöst werden nach einem Tarif, welchen der Generalrath 
des Departements mit Rücksicht auf die Ortsverhältnisse feststellt. Zu diesen ordent- 
lichen Mitteln der Wegeerhaltung treten dann noch die verhältnißmäßigen Beiträge 
der Staatsdomänen, welche zu diesen Zwecken voll herangezogen werden; freiwillige 
Beiträge von Privatinteressenten; Spezialbeiträge von Fabriken und Etablissements, 
welche die Vizinalwege in stärkerem Maße in Anspruch nehmen und dakfür unter 
Beobachtung gewisser Formen zu erhöhten Beiträgen gezwungen werden; endlich 
ergänzende Zuschüsse aus der Departementskasse nach Beschließung der Generalräthe, 
für welche Zwecke noch einmal Steuerzuschläge bis zu 5 Centimes ausgeschrieben 
werden mögen. Das wirthschaftliche Gesammtrefsultat der neuen Gesetz- 
gebung war ein überraschendes. Schon in dem Zeitraum von 1837—1841 beliefen 
v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon III. 3. Aufl. 82
	        
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