Würderungseid. 1367
Würderungseid, Schätzungseid, juramentum in litem, war nach Römischem
Recht der Eid, durch welchen der. Kläger bei den auf restituere oder exbhibere
gerichteten actiones arbitrariae und bonae fidei den Werth des Streitgegenstandes
resp. sein Interesse, mit einem Wort das quanti ea res est, an Stelle des Richters
dann abschätzen durfte, wenn der zum Restituiren oder Exhibiren verurtheilte Be-
klagte diesem Urtheil contumacia, oder weil er es sich dolo oder culpa lata unmöglich
gemacht hatte, keine Folge leistete. Obgleich aber schon die Glosse und die ältere
gemeinrechtliche Doktrin dies beschränkte Anwendungsgebiet des juram. in litem
richtig erkannt; obgleich es dann insbesondere Schröter wieder aus den Quellen so
überzeugend nachgewiesen hatte, daß, abgesehen von der allseitigen Zustimmung der
Theorie, auch verschiedene Gesetzgebungen (z. B. die Hannov. Proz. O. von 1850,
§ 302) das Resultat seiner Untersuchungen in dieser Richtung geradezu legalisirten,
so war die Praxis doch von jeher und auch nach Schröter geneigt, dem W. ein
weiteres Feld einzuräumen. Sie gestaltete ihn zu dem Eid, wodurch Kläger den
Betrag eines ihm vom Beklagten zu ersetzenden Schadens schlechthin, ohne Rücksicht
auf die Art der Klage, beweisen durfte, falls dem Beklagten dolus oder culpa lata
zur Last fiel (vgl. Strippelmann, S. 412 und die hier Cit.). Der W.
bezweckte neben der Beweiserleichterung für den Kläger zugleich einen Nachtheil
C’um et contumacia punien da sit“, 1. 8 D. h. t.; 1. 60 § 1 D. ad leg. Falc. 35,2),
gewissermaßen eine Privatstrafe, für den Beklagten, indem Kläger, wenn er auch sein
Affektionsinteresse nicht mit veranschlagen durfte (so insbes. Schröter, S. 359, 402,
gegen Glück, S. 433), doch die Möglichkeit hatte und stets geneigt sein mußte, den
objektiven Werth des Schadens durch seine subjektive Schätzung zu steigern (I. 1
D. h. t.). Als Begünstigung des Klägers war der W. nur auf Antrag desselben vom
Richter zu deferiren und hierdurch nicht nur vom Schiedseid, sondern auch vom Er-
füllungseid wesentlich verschieden, mit welch letzterem ihn die gemeinrechtliche Doktrin
(z. B. Malblanc, Doctr. de jurej., § 74; Tevenar, Theorie d. Bew., S. 99
„juramentum suppletorium aestimationis") vielfach verwechselte. — Noch weiter als
der W. ging in der Begünstigung des Klägers der ihm sonst nahe verwandte, vom
Kaiser Zeno in der 1. 9 C. unde vi 8, 4 verordnete, vom kanonischen Recht (c. 7
C. 2 qdu. 1; c. 7 X. de his quae vi 1, 40) ausgenommene und in der gemein-
rechtlichen Doktrin seit A. Faber „juramentum Zenoniarum“ genannte Eid, wodurch
der Kläger, welchem in Folge gewaltsamer Entsetzung aus dem Besitz eines Grund-
stücks angeblich auch bewegliche Sachen beschädigt oder entzogen sein sollten, Existenz
und Umfang des letzteren Schadens beweisen durfte. Als Korrelat des Zenonianischen
Eides war endlich insbesondere in Sachsen der sog. Minderungs= oder Mino-
rationseid in Gebrauch, welcher vom Beklagten über den Umfang des
Schadens geschworen werden durfte, um so aus den Angaben des Klägers und des
Beklagten den mittleren Werth, als den der Wahrheit entsprechenden, feststellen zu
können. Von vornherein aber lag es im richterlichen Officium, einen Maximal-
betrag festzusetzen, welchen des Klägers Schätzung nicht übersteigen durfte. — Ist
nun der Minderungseid schon früh in Sachsen als verwerflich ausgegeben worden
(Müller, S. 72), so mußte das Streben der neueren Gesetzgebung, alle bedenk-
lichen und überflüssigen Eide aus dem Prozeß zu entfernen (s. den Art. Eid), zu
einer Beseitigung auch des W. wie des jur. Zenonianum um so mehr führen, als
bei ihnen einerseits die Gefahr ne facillimus quisque nemine sibi deferente ad jus-
jurandum decurrat ganz besonders nahe liegt, andererseits das Prinzip der freien
richterlichen Beweiswürdigung das in jenen Eiden bisher gelegene Korrektiv für die
Mängel des gemeinrechtlichen Schädenprozesses durchaus entbehrlich macht. So ist
der Schätzungseid denn auch in der Deutschen CPO. 8 260 Abs. 2 ausdrücklich
aufgehoben; der hier im Abs. 1 normirte Eid ist lediglich eine Spezies des richter-
lichen Eides (Motive zu § 250 des Entw. von 1874 S. 475).