Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Zeugenbeweis. 1399 
geeignet scheinen, die Aussage einer bestimmten Person als Zeuge unzulässig oder 
doch bedenklich zu machen. Die überzeugende Kraft des Z. beruht auf der Voraus- 
setzung, daß der Zeuge fähig war, richtige Wahrnehmungen zu machen und daß er 
den Willen und die Fähigkeit besitzt, über dieselben getreue, richtige und keinem 
Mißverständniß ausgesetzte Mittheilungen zu machen. So mannigfaltig sind diese 
Bedingungen, so leicht kann in einer oder der anderen Beziehung ein Hinderniß 
oder doch der Verdacht eines solchen sich ergeben, daß es nicht zu verwundern ist, 
wenn in den frühesten Rechtszuständen schon ein entschiedenes Mißtrauen, eine Ab- 
neigung gegen den Z. hervortritt, welche in meist fortschreitender Entwickelung 
die Richtung der Gesetzgebung und Rechtsprechung in dem Sinne bestimmen, daß 
durch positive Normen von Anfang an die Einwirkung unglaubwürdiger Zeugnisse 
ferngehalten werden soll. Dazu kommt, daß im Prozeß der frühesten staatlichen 
Entwickelungsstadien der Anklagegrundsatz entweder noch ganz von der privatrecht- 
lichen Behandlung des Strafrechts getragen ist oder, wenn dies (wie schon im älteren 
Römischen Kriminalprozeß) nicht mehr der Fall ist, wièder unter dem Einfluß des 
natürlichen Mißtrauens steht, welchen das Auftreten eines Anklägers erregen muß, 
welcher dazu kaum anders als durch Motive persönlicher und meist gehässiger Natur 
bestimmt sein kann. Eine gewisse Gleichgültigkeit gegen den Mißerfolg des Anklägers, 
auch wenn derselbe durch Zufall befördert wird, ist von dem einen wie dem anderen 
Standpunkte aus erklärlich; und die einmal zum Schutz gegen bedenkliche Anklage- 
beweise aufgestellte Regel muß dann auch den Entlastungsbeweis beeinträchtigen, 
was übrigens im Germanischen Recht des Mittelalters um so weniger bedenklich 
machte, weil der Wunderglaube der sicheren und unfehlbaren Beweismittel genug 
zur Verfügung stellte. So konnte es kommen, daß während in letzterem der 3. 
überhaupt nur ausnahmsweise Platz fand, das Römische Recht eine ganze Reihe von 
Bestimmungen aufstellte, welche auf Ausschließung von Zeugen abzielten, Bestimmungen, 
welche das über das Germanische Recht siegende Juristenrecht überall in Europa, 
selbst in Großbritannien zur Geltung brachte. Wie bei jeder von Willkür nicht 
freien Satzung kam dann dazu, daß nicht blos die Rücksicht auf den muthmaßlichen 
Unwerth des Zeugnisses für Aufstellung solcher Bestimmungen maßgebend wurde, 
sondern, daß man dieselben auch benutzte, um andere Zwecke, namentlich die Bestrafung 
bestimmter Personen, durch Ausschließung von der Zeugnißfähigkeit (z. B. die der 
Ehebrecherin) zu erzielen. Abgesehen von dieser letzteren Verirrung haben Vorgänge 
dieser Art so viel Bestechendes für die juristische Denkweise, daß sie dieselbe leicht zu 
immer weiter gehender Strenge verlocken. Selbst der tiefgehende Gegensatz in der 
Entwickelung des Beweisrechtes, welcher die Geschichte des Strafprozesses beherrscht, 
der Gegensatz zwischen gesetzlicher Beweisregelung und freier Beweiswürdigung und 
der fortschreitende Sieg der letzteren vermag dieselbe nicht ohne weiteres zu beseitigen: 
ein naheliegender Gedanke ist es, die für unausführbar erkannte Regelung der 
Beweiswürdigung durch Aufstellung von Regeln über das Material, das 
der Würdigung unterstellt werden kann, zu ersetzen und auf diesem Streben beruht 
die Entwickelung des Englischen Beweisrechtes. Allein jene theoretische Strenge 
stößt zunächst auf die Bedenken, welche aus der allzugroßen Einengung des Ver- 
theidigungsbeweises sich ergeben und andererseits konnte es ja auch nicht fehlen, daß 
das mehr und mehr sich geltend machende öffentliche Interesse am Strafrecht, zumal 
in der Epoche äußerst harter Behandlung des Angeklagten, daß das immer mehr als 
oberstes Gesetz des Strafprozesses (angeblich als dessen unterscheidendes Merkmal) 
proklamirte Streben nach materieller Wahrheit gegen jene Beschränkungen auf den 
verschiedensten Wegen reagirten. Schon in das spätere Röm. Recht ist hierdurch 
ein Gegensatz gekommen, welchen Filangieri mit Recht als die Vereinigung über- 
mäßiger Vorsicht durch Häufung von Ausnahmen im Interesse des Angeklagten mit 
maßloser Zulassung von Ausnahmen in entgegengesetzter Richtung bezeichnet. So 
führten jederzeit auch später die Ausschließungen der Zeugen auf der andern Seite 
  
 
	        
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