Zeugenbeweis. 1399
geeignet scheinen, die Aussage einer bestimmten Person als Zeuge unzulässig oder
doch bedenklich zu machen. Die überzeugende Kraft des Z. beruht auf der Voraus-
setzung, daß der Zeuge fähig war, richtige Wahrnehmungen zu machen und daß er
den Willen und die Fähigkeit besitzt, über dieselben getreue, richtige und keinem
Mißverständniß ausgesetzte Mittheilungen zu machen. So mannigfaltig sind diese
Bedingungen, so leicht kann in einer oder der anderen Beziehung ein Hinderniß
oder doch der Verdacht eines solchen sich ergeben, daß es nicht zu verwundern ist,
wenn in den frühesten Rechtszuständen schon ein entschiedenes Mißtrauen, eine Ab-
neigung gegen den Z. hervortritt, welche in meist fortschreitender Entwickelung
die Richtung der Gesetzgebung und Rechtsprechung in dem Sinne bestimmen, daß
durch positive Normen von Anfang an die Einwirkung unglaubwürdiger Zeugnisse
ferngehalten werden soll. Dazu kommt, daß im Prozeß der frühesten staatlichen
Entwickelungsstadien der Anklagegrundsatz entweder noch ganz von der privatrecht-
lichen Behandlung des Strafrechts getragen ist oder, wenn dies (wie schon im älteren
Römischen Kriminalprozeß) nicht mehr der Fall ist, wièder unter dem Einfluß des
natürlichen Mißtrauens steht, welchen das Auftreten eines Anklägers erregen muß,
welcher dazu kaum anders als durch Motive persönlicher und meist gehässiger Natur
bestimmt sein kann. Eine gewisse Gleichgültigkeit gegen den Mißerfolg des Anklägers,
auch wenn derselbe durch Zufall befördert wird, ist von dem einen wie dem anderen
Standpunkte aus erklärlich; und die einmal zum Schutz gegen bedenkliche Anklage-
beweise aufgestellte Regel muß dann auch den Entlastungsbeweis beeinträchtigen,
was übrigens im Germanischen Recht des Mittelalters um so weniger bedenklich
machte, weil der Wunderglaube der sicheren und unfehlbaren Beweismittel genug
zur Verfügung stellte. So konnte es kommen, daß während in letzterem der 3.
überhaupt nur ausnahmsweise Platz fand, das Römische Recht eine ganze Reihe von
Bestimmungen aufstellte, welche auf Ausschließung von Zeugen abzielten, Bestimmungen,
welche das über das Germanische Recht siegende Juristenrecht überall in Europa,
selbst in Großbritannien zur Geltung brachte. Wie bei jeder von Willkür nicht
freien Satzung kam dann dazu, daß nicht blos die Rücksicht auf den muthmaßlichen
Unwerth des Zeugnisses für Aufstellung solcher Bestimmungen maßgebend wurde,
sondern, daß man dieselben auch benutzte, um andere Zwecke, namentlich die Bestrafung
bestimmter Personen, durch Ausschließung von der Zeugnißfähigkeit (z. B. die der
Ehebrecherin) zu erzielen. Abgesehen von dieser letzteren Verirrung haben Vorgänge
dieser Art so viel Bestechendes für die juristische Denkweise, daß sie dieselbe leicht zu
immer weiter gehender Strenge verlocken. Selbst der tiefgehende Gegensatz in der
Entwickelung des Beweisrechtes, welcher die Geschichte des Strafprozesses beherrscht,
der Gegensatz zwischen gesetzlicher Beweisregelung und freier Beweiswürdigung und
der fortschreitende Sieg der letzteren vermag dieselbe nicht ohne weiteres zu beseitigen:
ein naheliegender Gedanke ist es, die für unausführbar erkannte Regelung der
Beweiswürdigung durch Aufstellung von Regeln über das Material, das
der Würdigung unterstellt werden kann, zu ersetzen und auf diesem Streben beruht
die Entwickelung des Englischen Beweisrechtes. Allein jene theoretische Strenge
stößt zunächst auf die Bedenken, welche aus der allzugroßen Einengung des Ver-
theidigungsbeweises sich ergeben und andererseits konnte es ja auch nicht fehlen, daß
das mehr und mehr sich geltend machende öffentliche Interesse am Strafrecht, zumal
in der Epoche äußerst harter Behandlung des Angeklagten, daß das immer mehr als
oberstes Gesetz des Strafprozesses (angeblich als dessen unterscheidendes Merkmal)
proklamirte Streben nach materieller Wahrheit gegen jene Beschränkungen auf den
verschiedensten Wegen reagirten. Schon in das spätere Röm. Recht ist hierdurch
ein Gegensatz gekommen, welchen Filangieri mit Recht als die Vereinigung über-
mäßiger Vorsicht durch Häufung von Ausnahmen im Interesse des Angeklagten mit
maßloser Zulassung von Ausnahmen in entgegengesetzter Richtung bezeichnet. So
führten jederzeit auch später die Ausschließungen der Zeugen auf der andern Seite