Zeugenbeweis. 1405
Befreiung von der Pflicht, solche Untersuchungsakte über sich ergehen zu lassen, die
Jeder, er sei Zeuge oder nicht, sich gefallen lassen muß.
Die Befreiung von der Zeugnißpflicht gilt entweder für alle oder nur für
bestimmte Strassachen und ist entweder eine vollständige oder theilweise, die
letztere bezieht sich wieder entweder auf die Form, in welcher das Zeugniß abzu-
legen ist, oder auf das Wesen, die Aussage selbst.
A. Für alle Strafsachen vollständig befreit ist auf Grund des § 4 des
EG. zur Deutschen Strasf O. in denjenigen Deutschen Staaten, deren Gesetze dies
aussprechen, der Landesherr (nach der Zusammenstellung in Geyer's Lehrbuch,
S. 539, sind dies die Königreiche Sachsen und Württemberg). Wo solche ausdrück-
liche Satzungen nicht bestehen, schließt die Fassung des § 71 der Deutschen
StrafP O. die sonst wol naheliegende Annahme aus, daß, da gegen das Staats-
oberhaupt wie überhaupt keinerlei Gerichts-, so auch kein Zeugnißzwang geübt
werden kann, es einer Zeugnißpflicht nicht unterliegt. Nach Oesterreichischem Recht
ist daran nie gezweifelt worden, ebenso bestimmt ist dies im Englischen Recht aner-
kannt (vgl. Best, §§ 125, 249). — Für alle Strafsachen gilt ferner das in dem
eben angeführten § 71 der Deutschen StrafP O. begründete Vorrecht der (nicht über-
haupt befreiten) Landesherren, der Mitglieder der landesherrlichen Familien, sowie der
Mitglieder der fürstlichen Familie Hohenzollern, in ihrer Wohnung (in Abwesenheit
der Parteien) vernommen zu werden, den Eid nur mittels Unterschreibens der die
Eidesnorm enthaltenden Eidesformel zu leisten und zur Hauptverhandlung gar nicht
geladen zu werden. (In Oesterreich werden die Mitglieder des kaiserlichen Hauses
als Zeugen durch den Obersthofmarschall und außer Wien durch den Präsidenten
des Gerichtshofes erster Instanz in ihrer Wohnung vernommen und gilt eine an
Eidesstatt abgegebene schriftliche Versicherung derselben für die wirkliche Ablegung des
Eides — § 155 der StrafP O. und § 31 des Familienstatuts von 1839). Hieran
schließt sich das im § 49 der Deutschen StrasfP# O. begründete Vorrecht des Reichs-
kanzlers und einer Anzahl höchster Reichs= und Landesbeamteter, an ihrem Amtessitze
oder Aufenthaltsort vernommen zu werden, und ein ähnliches Vorrecht der Mitglieder
des Bundesrathes und der Deutschen gesetzgebenden Versammlungen, während der
Sitzungsperioden an ihrem hierdurch bestimmten Aufenthaltsort vernommen zu werden.
Damit wird in vielen Fällen die Vernehmung in der Hauptverhandlung unmöglich
gemacht, welche in den im § 49 der Deutschen Straf O. erwähnten Fällen durch
kommissarische Vernehmung ersetzt werden muß (§ 222 der StrasP O.). Ausnahmen
von dieser im öffentlichen Interesse aufgestellten Regel hängen nicht von dem Privi-
legirten selbst, sondern von höherer Genehmigung ab (Abs. 3 des § 49). Hier ist
auch die Vorschrift des § 48 Abs. 2 der Deutschen Straf-t O. zu erwähnen, wonach
die Ladung „einer dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehörigen Person
des Soldatenstandes“ „durch Ersuchen der Militärbehörde“ erfolgt, welche die Er-
füllung der Zeugenpflicht mit den Anforderungen des Dienstes in Einklang zu bringen
hat (vgl. §§ 161 und 223 der Oesterreichischen Straf PO.).
B. Auf das Wesen der Sache (die Aussage) bezieht sich die ebenfalls
für alle Strafsachen geltende Befreiung gewisser Personen von solchen Aussagen,
durch welche sie die mit ihrer öffentlichen Stellung oder ihrem Berufe verbundene
Pflicht zur Wahrung des Geheimnisses Anderer verletzen würden. Es sind dies:
1) „Oeffentliche Beamte" (§ 53 der Deutschen StrafP O., vgl. § 151
der Oesterr. StrafP O. „Staatsbeamte"); sie „dürfen über Umstände, auf welche
sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht“, sofern sie letzterer nicht entbunden
wurden, nicht vernommen werden. Gleichgültig ist, wie die Deutsche StrasP O. aus-
drücklich entscheidet, ob der Beamte noch im Amte ist oder nicht, sofern nur die
Aussage das Verrathen eines im Amte erfahrenen Geheimnisses wäre. Ein Verzicht
des Beamten ist ebenso ohne Einfluß, wie sein Widerstreben, nach erfolgter Ge-