Zeugenbeweis. 1409
StrafPO. zu erwägen sein, ob die Ablegung des Zeugnisses aus dem angegebenen
Grunde dem Redakteur u. s. w. zur Schande gereichen würde, in welchem Falle er
nur in „besonders wichtigen Fällen“ zum Zeugniß verhalten werden soll. Bei
dieser Beurtheilung kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß jener Grund
der Regel nach eintrete, da im Allgemeinen, eben weil keine gesetzliche Befreiung
besteht, auch nicht angenommen werden kann, daß der bezügliche Verkehr auf der
Basis unbedingter Verschwiegenheit, auch dem Gericht gegenüber, erfolgte; es wird
sich vielmehr darum handeln, ob individuelle Vorgänge vorliegen, welche eine aus-
nahmsweise moralische Verpflichtung zur Verschwiegenheit begründen.
C. Auf humaner Rücksicht für das Gefühl des Zeugen beruht die Befreiung
der nächsten Angehörigen des Beschuldigten von der Zeugnißpflicht. Die
Gesetzgebung selbst zollt darin dem Familiensinn, der es dem Zeugen schwer
macht, selbst eine Thätigkeit zu entwickeln, welche dazu beitragen kann, einem
nahen Angehörigen ein hartes Schicksal zu bereiten, seine Huldigung, obgleich
vielleicht um den Preis der Schädigung wichtiger öffentlicher Interessen. Dieser
Gesichtspunkt und nicht der der Besorgniß vor der naheliegenden Versuchung
zu falschen Aussagen ist — im Gegensatz zum Römischen und Französischen, theil-
weise auch Englischen Recht — maßgebend. Eben daraus folgt, daß die Gesetz-
gebung keinen Anlaß hatte, solche Zeugnisse auszuschließen. Der Zeuge hat es
mit sich auszutragen, ob er das Gefühl wirklich schonen will, welches das Gesetz im
Allgemeinen bei ihm voraussetzt, und ob dieses Gefühl nicht vielmehr ihn zur Aus-
sage drängt. In letzterer Hinsicht wird das Interesse des Angeklagten für ihn
entscheidend sein, nicht aber (wie Dalcke ohne Angabe von Gründen behauptet,
s. dagegen Geyer, Lehrb., S. 510, besonders Voitus, Kontroversen, I. S. 188 ff.) für
den Bestand des Rechtes zur Zeugnißverweigerung. Es handelt sich dabei über-
haupt nicht um ein Recht des Angeklagten (abgesehen von dem auf Einhaltung
der gesetzlichen Vorschriften), sondern lediglich um ein Recht des Zeugen. Dagegen
bezieht sich die Befreiung nur auf die Zeugen aussage, dabei jedoch auf die
ganze Aussage. Der Berechtigte ist von der Pflicht, der Vorladung Folge zu
leisten und diejenige Auskunft zu ertheilen, die — ohne Verletzung des Zweckes der
Befreiung — den Richter in den Stand setzt, das Vorhandensein des Befreiungs-
grundes zu prüfen, nicht befreit. Andererseits hat der Zeuge nur das Recht, die
Aussage überhaupt zu verweigern, nicht aber die Antwort auf einzelne Fragen
(anderer Meinung Löwe, welcher die im § 54 gewährte Befreiung auch den An-
gehörigen des Beschuldigten zuerkennt). Die Deutsche StrasP O. enthält allerdings
im § 51 Abs. 2 die Anerkennung des Rechtes des Zeugen, „den Verzicht“ auf das
Recht zur Verweigerung des Zeugnisses „jederzeit auch während der Vernehmung
zu widerrufen“; allein mit diesem Widerruf endigt auch die Vernehmung und es
kann nicht die Vernehmung in der Weise fortgesetzt werden, daß die Beantwortung
einzelner Fragen vom Belieben des Zeugen abhängt. — Eine andere Frage ist, ob
der spätere Widerruf des Verzichtes auch die bereits abgelegte Aussage unwirksam
macht. Die Frage, ob das darüber aufsgenommene Protokoll später verlesen werden
darf, wird im Zusammenhang mit der gleichen bei anderen Fällen sich ergebenden
unten erörtert. Wenn dagegen die durch Zurücknahme des Verzichtes unterbrochene
Aussage in der Hauptverhandlung abgelegt wurde, so könnte darin, daß das Gericht
sein Urtheil auf das kraft gesetzmäßigen Vorganges bereits Vernommene stützt, ein
Nichtigkeitsgrund nicht gefunden werden.
Das Recht steht den Angehörigen des Beschuldigten zu. Als solche
„Angehörige“ sind im § 51 der Deutschen StrasfP O. aufgezählt: 1) der Verlobte,
2) der Ehegatte des Beschuldigten, „auch wenn die Ehe nicht mehr besteht“, 3) durch
Adoption, durch Verwandtschaft, Verschwägerung in gerader Linie oder bis zum dritten
Grade der Seitenlinie im ersten, bis zum zweiten Grade im zweiten Fall Ver-
bundene. — Vergleicht man diese Aufzählung mit der der Oesterr. StrafP O. § 152 3. 1
v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon III. 3. Aufl. 89