Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Zeugenbeweis. 1409 
StrafPO. zu erwägen sein, ob die Ablegung des Zeugnisses aus dem angegebenen 
Grunde dem Redakteur u. s. w. zur Schande gereichen würde, in welchem Falle er 
nur in „besonders wichtigen Fällen“ zum Zeugniß verhalten werden soll. Bei 
dieser Beurtheilung kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß jener Grund 
der Regel nach eintrete, da im Allgemeinen, eben weil keine gesetzliche Befreiung 
besteht, auch nicht angenommen werden kann, daß der bezügliche Verkehr auf der 
Basis unbedingter Verschwiegenheit, auch dem Gericht gegenüber, erfolgte; es wird 
sich vielmehr darum handeln, ob individuelle Vorgänge vorliegen, welche eine aus- 
nahmsweise moralische Verpflichtung zur Verschwiegenheit begründen. 
C. Auf humaner Rücksicht für das Gefühl des Zeugen beruht die Befreiung 
der nächsten Angehörigen des Beschuldigten von der Zeugnißpflicht. Die 
Gesetzgebung selbst zollt darin dem Familiensinn, der es dem Zeugen schwer 
macht, selbst eine Thätigkeit zu entwickeln, welche dazu beitragen kann, einem 
nahen Angehörigen ein hartes Schicksal zu bereiten, seine Huldigung, obgleich 
vielleicht um den Preis der Schädigung wichtiger öffentlicher Interessen. Dieser 
Gesichtspunkt und nicht der der Besorgniß vor der naheliegenden Versuchung 
zu falschen Aussagen ist — im Gegensatz zum Römischen und Französischen, theil- 
weise auch Englischen Recht — maßgebend. Eben daraus folgt, daß die Gesetz- 
gebung keinen Anlaß hatte, solche Zeugnisse auszuschließen. Der Zeuge hat es 
mit sich auszutragen, ob er das Gefühl wirklich schonen will, welches das Gesetz im 
Allgemeinen bei ihm voraussetzt, und ob dieses Gefühl nicht vielmehr ihn zur Aus- 
sage drängt. In letzterer Hinsicht wird das Interesse des Angeklagten für ihn 
entscheidend sein, nicht aber (wie Dalcke ohne Angabe von Gründen behauptet, 
s. dagegen Geyer, Lehrb., S. 510, besonders Voitus, Kontroversen, I. S. 188 ff.) für 
den Bestand des Rechtes zur Zeugnißverweigerung. Es handelt sich dabei über- 
haupt nicht um ein Recht des Angeklagten (abgesehen von dem auf Einhaltung 
der gesetzlichen Vorschriften), sondern lediglich um ein Recht des Zeugen. Dagegen 
bezieht sich die Befreiung nur auf die Zeugen aussage, dabei jedoch auf die 
ganze Aussage. Der Berechtigte ist von der Pflicht, der Vorladung Folge zu 
leisten und diejenige Auskunft zu ertheilen, die — ohne Verletzung des Zweckes der 
Befreiung — den Richter in den Stand setzt, das Vorhandensein des Befreiungs- 
grundes zu prüfen, nicht befreit. Andererseits hat der Zeuge nur das Recht, die 
Aussage überhaupt zu verweigern, nicht aber die Antwort auf einzelne Fragen 
(anderer Meinung Löwe, welcher die im § 54 gewährte Befreiung auch den An- 
gehörigen des Beschuldigten zuerkennt). Die Deutsche StrasP O. enthält allerdings 
im § 51 Abs. 2 die Anerkennung des Rechtes des Zeugen, „den Verzicht“ auf das 
Recht zur Verweigerung des Zeugnisses „jederzeit auch während der Vernehmung 
zu widerrufen“; allein mit diesem Widerruf endigt auch die Vernehmung und es 
kann nicht die Vernehmung in der Weise fortgesetzt werden, daß die Beantwortung 
einzelner Fragen vom Belieben des Zeugen abhängt. — Eine andere Frage ist, ob 
der spätere Widerruf des Verzichtes auch die bereits abgelegte Aussage unwirksam 
macht. Die Frage, ob das darüber aufsgenommene Protokoll später verlesen werden 
darf, wird im Zusammenhang mit der gleichen bei anderen Fällen sich ergebenden 
unten erörtert. Wenn dagegen die durch Zurücknahme des Verzichtes unterbrochene 
Aussage in der Hauptverhandlung abgelegt wurde, so könnte darin, daß das Gericht 
sein Urtheil auf das kraft gesetzmäßigen Vorganges bereits Vernommene stützt, ein 
Nichtigkeitsgrund nicht gefunden werden. 
Das Recht steht den Angehörigen des Beschuldigten zu. Als solche 
„Angehörige“ sind im § 51 der Deutschen StrasfP O. aufgezählt: 1) der Verlobte, 
2) der Ehegatte des Beschuldigten, „auch wenn die Ehe nicht mehr besteht“, 3) durch 
Adoption, durch Verwandtschaft, Verschwägerung in gerader Linie oder bis zum dritten 
Grade der Seitenlinie im ersten, bis zum zweiten Grade im zweiten Fall Ver- 
bundene. — Vergleicht man diese Aufzählung mit der der Oesterr. StrafP O. § 152 3. 1 
v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon III. 3. Aufl. 89
	        
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