Zeugenbeweis. 1413
3) Das Formgebrechen der Vernehmung ohne vorausgegangene Belehrung kann
selbstverständlich durch ausdrücklichen Verzicht des Zeugen auf sein Recht unschädlich
gemacht werden; ob auch durch nachträglichen Verzicht? Erfolgt dieser
während des Verfahrens, so wird er der ausdrücklichen Zustimmung zur ferneren
Verwendung der Aussage nach Deutschem Rechte (nicht nach Oesterreichischem) gleich-
kommen. Nach Schluß der Hauptverhandlung abgegeben, könnte er meines Erachtens
an der eingetretenen Nichtigkeit des Verfahrens nichts ändern. (Vgl. v. Schwarze,
S. 177 Z. 9.) «
4) Der gleichviel ob ausdrückliche oder stillschweigende Verzicht kann jederzeit
widerrufen werden, und es fragt sich, welche Wirkung dies auf die schon erfolgte
Vernehmung übt. Abgesehen von dem im Laufe der Vernehmung erfolgten Wider-
rufe, von dem schon oben die Rede war, wird der Fall meist in der Weise ein-
treten, daß der Verzicht erst in der Hauptverhandlung (oder in einer neuen Haupt-
verhandlung) hervortritt. Diesen Hauptfall regelt nun § 251 der Deutschen Straf P O.,
welcher die Verlesung der früheren Aussage verbietet, wenn der Zeuge in der Haupt-
verhandlung das Zeugniß verweigert. (Dasselbe ergiebt sich aus § 252 der Oesterr.
StrafPO.) Nach den Bestimmungen der Deutschen StrafP O. wird der Fall, daß
die Aussage des Zeugen verlesen wird, wenn er nicht zur Hauptverhandlung geladen
war, ohnehin nicht leicht vorkommen; und ist andererseits selbst die unberechtigte
Verweigerung des Zeugnisses in der Hauptverhandlung kein Grund, welcher die Ver-
lesung der Aussage des Zeugen rechtfertigt. Uebrigens ist aus § 251 noch ferner
zu folgern, daß auch eine schriftliche Verwahrung des etwa gar nicht geladenen Zeugen
ein Hinderniß der Verlesung seiner Aussage bildet.
5) Dagegen begründet das Recht der Zeugnißverweigerung kein Hinderniß dagegen,
daß, wenn der Zeuge stirbt, ohne den Verzicht widerrufen zu haben, die Aussage
verlesen werde, ferner daß außergerichtliche Mittheilungen eines Angehörigen des
Beschuldigten erwiesen und benutzt werden. Wohl aber wäre es eine unwürdige Um-
gehung des Gesetzes, das Protokoll über die Vernehmung des Zeugen, nach Widerruf
seines Verzichtes, durch die mündliche Aussage über seine Vernehmung zu ersetzen.
(Bedenken erregt da nur der Fall der Konfrontation, wo sicher nicht dem Beschul-
digten, aber auch kaum einem Zeugen verwehrt werden kann, anzuführen, was der
mit ihm konfrontirte Angehörige des Beschuldigten ihm ins Gesicht gesagt habe.) —
6) Wenn der Zeuge die Befreiung in Anspruch nimmt, so muß er, sofern das
Vorhandensein des Befreiungsgrundes einem Zweifel unterliegt, den Richter in den
Stand setzen, darüber sich ein Urtheil zu bilden. Nach § 55 der Deutschen StrafP O.
hat er sogar die Thatsache, auf welche er die Verweigerung des Zeugnisses stützt
(außer dem Falle, wo es sich um das Amtsgeheimniß handelt), glaubhaft zu machen.
„Es genügt die eidliche Versicherung“. Bei alledem ist aber daran festzuhalten, daß
der Zeuge zu keiner Angabe genöthigt werden darf, durch welche sein Recht schon
vereitelt würde. Ueber die Statthaftigkeit der Zeugnißverweigerung entscheidet der
Richter, welcher die Vernehmung leitet, also auch der requirirte Richter.
VI. Unberechtigter Verweigerung des Zeugnisses oder Eides
gegenüber tritt der Zeugenzwang (s. d. Art. Zeugnißzwang) ein.
VII. Die Entgegennahme der Zeugenaussage erfolgt auf verschiedene
Art, je nachdem sie in oder außerhalb der Hauptverhandlung vor sich geht; in
letzterem Falle muß nach Deutschem Recht wieder unterschieden werden, ob eine
Vernehmung stattfindet, welche bestimmt ist, die Stelle der Vernehmung in der
Hauptverhandlung zu ersetzen (kommissarische Vernehmung). Im Allgemeinen
ist bezüglich der Vernehmung im Vorverfahren auf die Artikel Einleitung der
Untersuchung und Voruntersuchung, bezüglich der Vorbereitung der Haupt-
verhandlung und des Ganges der Vernehmung in derselben auf den Art. Beweis-
verfahren Bezug zu nehmen.