Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

1414 Zeugenbeweis. 
Uebrigens gelten jür die Zeugenvernehmung folgende Grundsätze: 
1) Jeder Zeuge ist einzeln zu vernehmen. Damit ist zunächst eine Kollektiv- 
abhörung untersagt, wie sie immerhin bei Vorfällen denkbar wäre, die sich in Gegen- 
wart gahlreicher Personen zutrugen. Der Zeuge ist ferner in Abwesenheit noch zu 
vernehmender anderer Zeugen zu vernehmen, was in der Hauptverhandlung 
besondere Veranstaltungen nöthig macht. Der wichtigste Grund dafür ist der, daß 
zu den wirksamsten Mitteln der Erprobung des Werthes der Zeugnisse gehört, daß 
mehrere Zeugen über ihre gleichzeitigen oder gleichartigen Wahrnehmungen und über 
Gegenstände, über welche sie unerwartet befragt werden, auch übereinstimmend aus- 
sagen. Steht dieses Erprobungsmittel außer Frage, so kann die Anwesenheit noch zu 
vernehmender Zeugen sogar nützlich sein. Der Hauptfall ist der der Gegenüber- 
stellung, welche einen dreifachen Zweck verfolgen kann: a) die bloße Vorzeigung zum 
Zweck der Wiedererkennung (Rekognition); b) den Austausch von Detailangaben be- 
hufs Herstellung einer vollkommenen Uebereinstimmung unter Umständen, wo an der 
Aufrichtigkeit keines der beiden Zeugen gezweifelt, dagegen erwartet wird, daß sie 
sich gegenseitig die Erinnerung auffrischen und ergänzen; c) die Erprobung der 
Festigkeit und des Beharrens auf einander widersprechenden Behauptungen. Die 
letztere Form der Gegenüberstellung, welche (zumal gegenüber dem Beschuldigten) un- 
verkennbar etwas Peinliches mit sich führt, wird jetzt in der Regel in der Haupt- 
verhandlung in einfacherer und minder verletzender Weise durchgeführt und kann 
jedenfalls fast immer auf diese verspart werden (Deutsche Strafpt O. § 58 Abfs. 2; 
Oesterr. Straf O. §§ 168 und 205), was bezüglich der beiden anderen Formen 
der Gegenüberstellung wol nicht „ohne Nachtheil für die Sache“ möglich ist. — 
2) Die Vernehmung des Zeugen muß stets in Gegenwart des Richters und 
des Schriftführers stattfinden; bezüglich der Hauptverhandlung ergiebt sich die Zu- 
lassung weiterer Zuhörer aus der Natur des Vorganges. Im Vorverfahren kommt 
es zunächst auf die Frage an, ob die Prozeßbetheiligten der Vernehmung beiwohnen 
dürfen. In dieser Hinsicht sind für das Vorverfahren die §§ 167 und 191 der 
Deutschen StrafP O. maßgebend, nach welchen dieselben der Vernehmung solcher 
Zeugen beiwohnen dürfen, „welche voraussichtlich am Erscheinen in der Hauptver- 
handlung verhindert oder deren Erscheinen wegen großer Entfernung besonders er- 
schwert wird"“. (Das Nähere in Abs. 3—6 des § 191.) Diese Bestimmung findet 
ihre Ergänzung in den §§ 222, 223, welche die Vernehmung durch einen beauf- 
tragten oder ersuchten Richter regeln, die ausdrücklich zu dem Zweck erfolgt, um die 
Stelle der Vernehmung in der Hauptverhandlung zu ersetzen. 
3) Die Zeugenvernehmung ist stets eine mündliche. Die einzige Ausnahme 
tritt bei der Verhandlung mit tauben oder stummen Personen-ein (§ 188 des Deutschen 
GVG.), in welchem Falle die Fragen schriftlich gestellt oder die Antworten 
schriftlich ertheilt werden (§ 164 der Oesterr. Straf O.). Eine schriftliche Erklärung 
des Zeugen, welche dem Gericht eingesendet wird, vertritt die Stelle des Zeugnisses 
in keiner Weise. Es kommt dagegen wol vor, daß eine solche Erklärung vor der 
Vernehmung schon überreicht war; ganz besonders gilt dies von Anzeigen, die der 
Beschädigte, gewöhnlich der Hauptzeuge, erstattet hat. Wenn sich im besonderen 
Falle keine Bedenken dagegen ergeben, ist es nicht unzulässig, daß der Inhalt dieses 
Schriftstückes durch Verlesung und ausdrückliche Genehmigung im mündlichen Verhör 
in eine Zeugenaussage umgewandelt wird. Nur muß der Richter sich völlig davon 
überzeugen, daß das Niedergeschriebene der freie und treue Ausdruck dessen ist, was 
der Zeuge sagen will, daß er sich der rechtlichen Wirkung dieser Bestätigung und 
seiner Verantwortlichkeit bewußt sei; auch muß der Richter sich zu dem Vorgelesenen im 
Uebrigen verhalten, wie zu jeder anderen zusfammenhängenden Erzählung des Zeugen. — 
Eben daraus ergiebt sich, daß dem Zeugen nicht gestattet werden kann, seine Aus- 
sage auf Grund eines mitgebrachten Schriftstückes zu diktiren; wol aber kann ihm 
nicht verwehrt werden, Aufzeichnungen über Gegenstände, die das Gedächtniß allein
	        
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