1448 Zurechnung.
Zurechnung (Thl. I. S. 706 ff.). Unter Z. versteht man das urtheil,
durch welches Jemand für das von ihm Gethane verantwortlich erklärt wird. Hierin
liegt ein Doppeltes. Zunächst wird damit ausgesagt, daß das, was geschehen ist,
auf den Willen eines Menschen zurückzuführen, daß also dieser Wille dasselbe ver-
ursacht hat, oder, genauer gesagt, daß ein Wollen eine der Ursachen des Geschehenen
war. Daher kann ohne Weiteres von 3Z. nicht die Rede sein, wenn ein Mensch
zwar thätig war, aber ohne (oder gegen) seinen Willen. Wer ein Uebel gestiftet
hat, aber durch eine That, bei welcher der Wille nicht mitwirkte, durch eine Instinkt-
oder Reflex-, nicht eine willkürliche Bewegung, oder als bloßes, durch (mechanischen)
Zwang in Bewegung gesetztes Werkzeug, hat dasselbe nicht zu verantworten. Aber
wenn auch ein Wollen als Ursache eines Geschehnisses nachgewiesen ist, ist damit
noch nicht die Frage der Z. erledigt. Das Wollen selbst muß weiter auch noch
dem Wollenden zugerechnet werden können, wenn er für dasselbe einzustehen hat.
Wenn der Wollende nicht im Stande war, das Wollen zu beherrschen, so haftet
er für dasselbe und dessen Wirkungen nicht. Damit also Z. möglich wird, muß
die That auf einem Wollen beruhen und das Wollen muß von einem Menschen
ausgegangen sein, welcher in Bezug auf dieses Wollen Beherrschungsfähigkeit, psychische
Freiheit besessen hat. Nicht Freiheit des Willens, sondern des Wollens, oder,
deutlicher gesagt, des Wollenden ist also die Voraussetzung der Z. Der Mille ist nie
frei, sondern stets bestimmt durch die Motive, aus welchen er hervorgeht. Das
Gefühl der Freiheit des Willens ist ein täuschendes, dem sich die nöthigende Macht
der Beweggründe des Willens verbirgt unter dem Schein einer (nur in einem ganz
anderen Sinn wirklich bestehenden) Wahlfreiheit; das Postulat absoluter (trans-
scendentaler) Willensfreiheit vollends ist in der Welt des wirklichen Geschehens nirgends
erfüllbar. Ein Wille, der absolut frei sich aus sich selbst heraus bestimmte, wäre das.
Unding einer caussa sui; überdieß wäre er als absolut freier auch unnahbar jeder
Einwirkung, darum ebensowol unzugänglich dem Einfluß der Erziehung, Belehrung
und Besserung — den Bedingungen jeglichen Fortschritts der Menschheit — als
verschlossen der Einwirkung des Wollenden selbst, so daß damit jede Verantwortlich-
keit des Letzteren beseitigt wäre. Für ein ursachloses Wollen kann man die Ursache
nicht in dem wollenden Ich finden. Verantwortlichkeit setzt verursachtes, also
unfreies Wollen voraus.
Dem Menschen kommt Z.fähigkeit (ein Wort, welches neuestens Binding
durch das weniger passende Handlungsfähigkeit ersetzen will) nur zu, soweit
er Ursache für sein Wollen, soweit er Herr über dasselbe sein, dasselbe leiten, kräftigen,
unterdrücken, umwandeln, zur That werden lassen kann. Wodurch aber wird diese
Leitung und Beherrschung des Wollens, diese Selbstbeherrschung, ausgeübt und zur
Wirksamkeit gebracht? Dadurch, daß der Wollende einmal im Stande ist, dem
Wollen gegenüber eine Beurtheilung desselben als Norm für dasselbe aufzustellen
und dann daß er es auch vermag, dieser Norm, diesem normirenden Urtheil das
Wollen unterzuordnen, so daß es demselben entsprechend vom Handeln abläßt oder
zum Handeln fortschreitet. Die Z. und Z. fähigkeit hängt also ab von zwei psychischen
Voraussetzungen. Der zurechnungsfähige Mensch muß so weit entwickelt sein, daß
er ein Urtheil über ein Wollen zu fällen vermag — daß er also Einsicht in
die Beschaffenheit desselben besitzt und in Folge dessen dasselbe zu billigen oder zu
mißbilligen im Stande ist — und er muß zweitens so viele psychische Regsam-
keit und Kraft besitzen, daß er jener Einsicht die Herrschaft über das Wollen zu ver-
schaffen vermag. Mit Recht hat man sonach gesagt: Z.fähigkeit ist bedingt durch
ein Kennen und ein Können. Betrachten wir Beides genauer.
Es giebt auch eine Z. in sittlich gleichgültigen Dingen; es kann Jemandem zu-
gerechnet werden, insofern er klug, zweckmäßig u. f. w. gehandelt hat oder nicht.
Dies bei Seite lassend, fassen wir für unseren Zweck nur die sog. moralische Z.
ins Auge, da sie die Grundlage der strafrechtlichen Z. bildet. Das theoretische