1454 Zurechnungssähigkeit.
Zum Schluß sei auch hier dem Bedauern darüber Ausdruck gegeben, daß bisher
noch nichts zur Ausführung der Resolution geschehen ist, welche der Reichstag zu den
§§ 51 und 56 des Straf##. faßte und welche dahin geht, „den Bundeskanzler
aufzufordern, im Wege einer Vorlage die Regelung eines Verfahrens herbeizuführen,
durch welches Personen, die wegen ihres Geisteszustandes oder als Taubstumme für
straflos erklärt worden sind, im Falle der Gemeingefährlichkeit einer wirksamen Be-
auffichtigung überwiesen werden können“.
Gsgb.: Deutsches Strasch B. S§ 51, 55, 56, 58. — Oesterr. 6 tt, a—d. — G.
außerdem die im Texte angeführten Gesetzesstellen. — Oesterr. Entw. I. u. II. § 56.
Lit.: Berner, Grundzüge der kriminalist. Imputationslehre, 1843. —. Wahlberg,
Las Prinzip der Individualisirung, 1869, S. 61 ff.; Derselbe in Gesamm, kleinen Schriften,
I. (1875) S. 1 ff. — Jessen, Ue er Zurechnungsfähigkeit, 1870. — v. Rönne, Die krim.
Zurechnungsfähigkeit, 1870. — v. Krafft-Ebing, Grundzüge der Kriminalpsychologie Der-
selbe, Lehrb. d. gerichtl. Mnchopathologe (2. Aufl.) 1881; Derselbe in v. olpendorff" s
Handbuch des Strafrechts, IV. 09 ff. — Skrzeczkat chentg. II. S. 219 ff. — Spiel-
mann, Diagnostik der Fellltzrz##bee 1855. — Kn Die Paradoxie des Willens,
1863. — Griesinger, Pathol. und Therapie der cestectkanthelten 4. Auflage 1876.
F. W. Hagen, Chorinzky, 1872. — Schütze in Goltdammer's Arch., 1873.— Röder,
Gerichtssaal, 1874. — Casper, Handbuch der gerichtl. Medicin, 6. Aufl. herausgegeben von
Eiman I. Bꝛ (1876) S. 404 ff. — W. Volkmann, Lehrbuch der Psychologie, 2. Aufl.
2. Bd. 1876, 452 ff. — Binding. Normen, II. S. 3 ff. (Dazu Geyer in der Krit.
V.J Schr. j. Heheot, u. Gsgb., XIX. S. 405 ff.) — Wheaton, A treatise on mental
unsoundiness, 1873 (dazu v. Bar in der Zeitschrift für das Privat- 'u. öffentliche Recht, II.
1 ff.) — Maudsley, Die ie Hurechnung fähigkeit der Geisteskranken, Deutsch von Rosen-
Se 1875. — Bruck, Lehre von der 8 Zurechnungssähigkeit, 1878. —
Drobisch, Die moral. T Allakeil u. de menschl. Willensfreiheit, 1867. — v. Oettingen,
Die Moralstatistik, 2. Aufl. 1875. — Schwartzer, Die Bewoßtiofigskeitszugänb= als Straf-
ausschließungsgründe, 1878. — Spitta, Die Willensbestimmung und ihr Verh. zu den im-
pulsiven Handlungen, 1831# — E. Hofmann, Lehrbuch der gerichtl. Medicin, 2. Auflage
1881, S. 719 ff. — In Maschka's Handbuch der gerichtl. Medicin, dessen 1. Band blählr
erschienen K wird der Schlaß des 3. Bandes den psychiatrischen Theil enthalten
eyer.
Zurechnungsfähigkeit ist derjenige Zustand, in welchem sich Jemand be-
findet, der fähig ist, zwischen Begehung und Unterlassung einer strafrechtlich als
Verbrechen oder Vergehen bezeichneten Handlung zu wählen, sich für dieselbe zu
bestimmen.
Das Urtheil, daß Jemand in einem solchen Zustand der Z. eine strafbare
Handlung begangen hat, daß diese ihm zurechenbar sei, ist die Zurechnung.-
Als die Bedingungen dieser ergeben sich: 1) Ein objektiver Thatbestand —
eine rechtswidrige That (der bloße Wille oder Gedanke ist nicht strafbar). 2) Ein
subjektiver — die That muß a) gewollt, auf den Willen des Thäters beziehbar
sein (Handlungen aus Zufall, Thatirrthum entbehren dieser Voraussetzung); b) in
dem Wollen des Thäters muß zugleich die Möglichkeit eines Nichtwollens der That
(Wahl= oder Willensfreiheit) enthalten gewesen sein. Als die Voraussetzungen eines
solchen (freien) Wollens lassen sich bezeichnen: a) das Unterscheidungsvermögen
(libertas judicü), d. h. die Fähigkeit eines Individuums, die Beschaffenheit, Ver-
hältnisse und Folgen seiner Handlung zu erkennen.
Dasselbe involvirt die Ueberzeugung von der Nützlichkeit und Nothwendigkeit
einer gesetzlichen und staatlichen Ordnung des menschlichen Zusammenlebens, die
Kenntniß der Bedeutung der Gesetze für diesen Zweck, der Folgen ihrer Uebertretung
für die eigene und gesellschaftliche Wohlfahrt.
5 Die Fähigkeit, sich für Ausführung oder Unterlassung einer strafbaren That
auf Grund dieser Motive zu entscheiden (libertas consilül).
Die libertas judicü setzt einen gewissen Umfang von Erfahrung, intellektueller
Ausbildung und Bildungsfähigkeit, die libertas consili eine ungehinderte Ideen-
assoziation und eine ungetrübte Besonnenheit zur jeweiligen und sofortigen Geltend-
machung jener vom Unterscheidungsvermögen gelieferten Motive voraus. Wo diese