Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

1464 Zurechnungsfaͤhilgkelt. 
Mord der geliebten Kinder aus vermeintlichen oder wirklichen, aber krankhaft über- 
triebenen Nahrungssorgen oder aus schmerzlicher Apperception der Außenwelt. 
Anders ist der Mechanismus des Handelnus bei raptus melanchol. Der blinde 
Drang des Kranken, der schrecklichen Seelenangst ein Ende zu machen, die große 
Bewußtseinsstörung bedingen ein äußerst stürmisches, keine Wahl der Mittel, der 
Zeit, des Ortes zulassendes Handeln. Es sind gleichsam konvulsivische Entladungen 
unerträglicher Bewußtseinszustände, die jede Prämeditation ausschließen und mit 
einem gewissen Eklat und Rücksichtslosigkeit erfolgen (Mord, Verstümmelung, Selbst- 
mord, Brandstiftung). Die Erinnerung für die Zeit des Anfalls fehlt gänzlich oder 
ist eine traumartige. 
Da, wo Hallucinationen (schreckliche Bisionen, Stimmen, die zum Mord auf- 
fordern, eine drohende Gefahr verkündigen 2c.) oder Wahnideen (Todesgefahr, Ver- 
dammung 2c.) das Handeln motiviren und keine Affekte interveniren, kann die That 
prämeditirt und zweckmäßig kombinirt geschehen. Dauern ihre Motive fort, so fehlt 
jede Reue und Einsicht für das Geschehene. 
2) Manie. Unter Manie versteht die Wissenschaft affektartige Zustände, 
deren Grundzüge äußerlich unmotivirte Affekte der Lust, ein gesteigerter Ablauf der 
Vorstellungen, ein erleichtertes Uebergehen derselben in motorische Akte, eine Erhöhung 
der Erregbarkeit der psychischen Prozesse überhaupt sind. Zwischen diesen Zuständen 
einfacher maniakalischer Exaltation und der vollen Höhe der Krankheit, der Tobsucht, 
bestehen nur Gradunterschiede. Wir sprechen von einer solchen, sobald der Vor- 
stellungsprozeß so beschleunigt ist, daß keine Einzelvorstellung mehr festgehalten 
werden kann und damit Verworrenheit und Ideenflucht eintritt, ferner die motori- 
schen Akte nicht mehr durch klar bewußte Vorstellungen, sondern nur noch durch 
dunkle allgemeine Vorstellungsmassen, Sinnesempfindungen oder organische Gefühle 
ausgelöst und damit zufällige, spontane, triebartige werden. Die Zustände von 
„Tobsucht“ sind keine zweifelhaften psychischen Störungen und können hier süglich 
übergangen werden. Anders ist es in jenen Zuständen bloßer maniakalischer Exal- 
tation, wo der Kranke, obwol unfrei in seinen Handlungen, geradezu thatkräftiger, 
scharfsinniger, redegewandter erscheint, als in gesunden Tagen, und damit dem Laien 
höchstens als aufgeregt, nicht aber als krank erscheint. Solche Menschen begehen in 
der Störung ihrer Besonnenheit und bei der krankhaften Erleichterung ihrer moto- 
rischen Akte die unsinnigsten Handlungen und Excesse, ohne in Worten zu deliriren 
(folie raisonnante, déelire des actes, mania sine delirio), ja wissen sogar trefflich 
ihr widersinniges Handeln mit Vernunftgründen zu motiviren. Diese rein affektiven 
Zustände mit blos formaler Störung sind forensisch doppelt wichtig, wenn sie mit 
krankhafter Steigerung der Triebe oder triebartigen Handlungen einhergehen. Die 
Uebersehung des Grundzustandes von Seiten einer älteren unwissenschaftlichen Be- 
obachtung mit einseitiger Hervorhebung der krankhaften Antriebe hat zur Irrlehre 
der Monomanien geführt. Solche krankhafte Antriebe kommen allerdings vor, 
aber nur als Folgen krankhaften Empfindens und Vorstellens und als Theilerschei- 
nungen eines pathologischen Gesammtzustandes. 
So hat man eine Mord-- und Selbstmordmonomanie behauptet, die einfach auf 
schmerzliche Gefühle, raptusartige Angstanfälle Melancholischer, eine Pyromanie, die 
auf die gleichen Motive des Melancholischen, zufällige Entäußerung des Bewegungs- 
dranges bei Maniakalischen oder auf die Rache eines kindischen, schwachsinnigen In- 
dividuums zurückzuführen ist. 
Wichtig ist die Kleptomanie, die Theilerscheinung eines maniakalischen Zustandes. 
ist, sich aber auch bei hysterischen Schwangeren, bei Schwach= und Blädfinnigen, 
Verrückten, Epileptikern und Paralhytikern in verschiedenartiger Motivirung findet. 
Eine periodische Saufsucht (Dipsomanie) ist nichts Anderes als eine Varietät der zu 
besprechenden periodischen Manie. Außerdem finden sich impulsive Antriebe bei 
hereditär-degenerativen Frreseinszuständen, namentlich dem moralischen Frresein.
	        
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