Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

862 Telegraphenrecht. 
Staatsdepeschen sind durch die Reglements auch noch insofern bevorzugt, als bei 
ihnen die Anwendung der Chiffernschrift unbedingt gestattet wird, während solche 
bei Privatdepeschen nur dann erlaubt ist, wenn sie zwischen Stationen zweier Staaten 
gewechselt werden, welche dieselbe zulassen (Reichstelegraphenordnung § 9). 
Hinsichtlich der Natur des zwischen dem Absender und der Telegraphenver- 
waltung bestehenden Rechtsverhältnisses sind die Ansichten der Juristen sehr getheilt. 
Unter anderen wird namentlich ein Mandatsverhältniß, Dienstmiethe, und zwar 
wieder entweder locatio conductio operarum oder operis, endlich der Annahmever- 
trag (receptum) angenommen. Wenn es überhaupt gestattet ist, bei dem in Rede 
stehenden Verhältniß auf Römischrechtliche Analogien zu rekurriren, so wird die 
Herbeiziehung der zuletzt genannten Vertragsart sich noch am ehesten rechtfertigen 
lassen. Man wird demgemäß die Telegraphenverwaltung für jeden vermittelst des 
Telegraphirens (sei es durch Verlust, Entstellung oder Verzögerung der Depesche) 
entstandenen Schaden haften lassen, der nicht durch die Schuld des Absenders, oder 
durch vis maior herbeigeführt ist. Ebenso wird man die Telegraphenverwaltung für 
die Handlungen ihrer Bediensteten für verantwortlich erklären müssen. Allein diese 
Verhaftung der Telegraphenverwaltung ist durch die das Telegraphenwesen betreffen- 
den internationalen Verträge und Reglements durchweg ausgeschlossen worden. (Vgl. 
z. B. Reichstelegraphenordnung § 26, Verordnung vom 24. Januar 1876 § 16.) 
Nur eine Rückerstattung der Gebühren wird zugesagt, wenn Depeschen durch Schuld 
der Telegraphenverwaltung verloren gehen, oder mit bedeutender Verzögerung in die 
Hände der Adressaten gelangen, oder so verstümmelt werden, daß sie erweislich ihren 
Zweck nicht erfüllen (im letzteren Fall nach der Reichstelegraphenordnung 8 26 und 
der Verordnung vom 24. Januar 1876 § 16 sogar nur bei kollationirten Depeschen). 
Einige Schriftsteller behaupten nun zwar, daß durch derartige Bestimmungen der 
Reglements und internationalen Verträge das bestehende Landesrecht nicht geändert 
werden könne, und der Richter demgemäß darauf gar keine Rücksicht zu nehmen 
habe (Reyscher S. 308 ff.; Mittermaier S. 40 ff.). Doch ist diese An- 
sicht nicht für richtig zu halten. Bestimmungen der Reglements, welche sich auf 
das Verhältniß des Publikums zur Telegraphenverwaltung beziehen und öffentlich 
bekannt gemacht sind, sind als integrirende Bestandtheile des Vertrags aufzufassen, 
welchen der Einzelne, der die Dienste der Telegraphenverwaltung in Anspruch nimmt, 
mit dieser eingeht. Indem man einen solchen Vertrag abschließt, unterwirft man 
sich auch stillschweigend jenen Bestimmungen. Natürlich wird durch solche Be- 
stimmungen ein Anspruch auf Schadensersatz gegen den Beamten, durch dessen Schuld 
der Verlust, die Verstümmelung oder Verzögerung der Depesche herbeigeführt ist, 
nicht ausgeschlossen. Zur Anstellung der Klage gegen den Beamten, resp. die Tele- 
graphenverwaltung (wo die Haftbarkeit dieser letzteren nicht beseitigt ist), ist nicht 
nur der Absender befugt, sondern auch der Adressat, vorausgesetzt, daß diesem die 
Depesche entstellt oder verspätet zugekommen ist; sonst kann der letztere nur ex iure 
cesso klagen. Für die Entscheidung der Frage, ob für den in Rede stehenden 
Schaden der Absender dem Adressaten aufzukommen, ist von Bedeutung die Natur 
der telegraphischen Depesche. Auch in dieser Beziehung sind die Juristen nicht einig. 
Nach den Einen steht die Depesche dem Originalbrief des Absenders gleich ( Fuchs 
im civil. Arch. XLIII. S. 95 ff.); nach den Anderen ist dieselbe lediglich eine ein- 
fache Abschrift, und zwar „nicht des Originals, sondern der Entzifferung der Zeichen, 
welche der Schräbapparat am Orte der Ankunft hervorgebracht hat“ (Reyscher, 
S. 290; Busch, 9; Serafini, S. 85; Mittermaier, S. 21 ff.). 
Letztere Meinung ist unzweifelhaft die richtige. Von einer Ersatzpslicht des Ab- 
senders dem Adressaten gegenüber kann daher regelmäßig nicht die Rede sein, sondern 
nur ausnahmsweise, nämlich, wenn ersterer selbst den Schaden veranlaßt, oder wenn 
er sich verpflichtet hat, denselben zu tragen.
	        
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