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bewegen. Wer aber soll, wenn dieses Recht ganz allgemein statuirt wird,
diese Competenz definiren? Sobald Sie das Amendemeut annehmen, wie
es Ihnen hler vorgeschlagen wird, würde die Befugniß, über jede beliebige
Thatsache Zeugen= und Sachverständigenvernehmung zu veranlossen, unbedingt
dem Relchstage vindicirt sein und er würde der größten Gefahr sich anssetzen,
fort und fort über selue Competenz hluauszugreifen und dadurch unnöthiger-
weise Conflicte herbeizuführen. Ich glaube aber auch, meine Herren, daß der-
artige Ausluuftsmittel, um zu irgend einem Ziele zu gelangen, in der That
ganz unnöthig sind. Bei der Oeffentlichkeit der Verhandlungen, wird sich
da, wo Beschwerden vorliegen, ein Mittel finden, auf anderem Wege zu
einer vollständigen Klarheit zu gelangen. Es giebt nur ein Entweder —
Oder. Entweder sind die Regierungen einverstanden und sind geneigt,
dem Reichstage zu Hülfe zu kommen zur Kenntnißnahme der Beschwerden,
um die es sich handelt, dann ist es nicht nöthig, Commissionen aus dem
Reichstage zu erwählen, oder aber sie widerstreben, bestreiten die Competenz,
dann allerdings fehlt es dem Reichstage vollständlg an allen Organen, um
wirklich zu einer wahren Klarstellung der Sache zu kommen. Sie werden
fortwährend in Conflict gerathen mit den Beamten, die Sie ja nöthig haben, um
Ihrerseits die Zeugen vernehmen zu lassen. Sle finden von keiner Seite
eine Unterstlitung, es wird dadurch nur eine Gährung und böses Blut er-
zeugt und am Ende ist das Material, welches auf diese Weise gesammelt
ist, doch in keiner Weise geeignet, das nachzuweiseu, was man hat bewelsen
wollen. Es ist dann viel Staub aufgerührt worden und weiter nichts damit
erzielt. Ich würde Ihnen also empfehlen, das Amendement Baumstark an-
zunehmen und das Amendement Lasker abzulehnen.
Newitzer (Chemnitz)“). Ich spreche gegen die Vorlage, weil sie
diejenigen Rechte nicht enthält, welche von Selten mehrerer Herren Abgeord-
neten beantragt worden siud. Die Antragsteller wollen in die Verfassung
das Recht der Adresse, das Recht der Petitlon, das Recht der Be-
schwerde, das Recht der Interpellation und auch das Recht mit auf-
genommen wissen, daß Sie verlangen dürfen, der Bundeskanzler oder
mindestens ein Stellvertreter desselben solle auf Verlangen erscheinen.
Was das erste Verlangen betrifft — das Recht eine Adresse erlassen zu
können — so finde ich das so natürlich, daß ich glaube, es läßt sich nicht
viel dagegen sagen. Der Reichstag wird, wie Sie wissen, durch eine Thron-
rede eröffnet. In dieser Thronrede legt die Reglerung in der Regel ihre
Ansschten Über die Sachlage vor. Was ist natürlicher, als daß auch der
Reichstag darauf antwortet und seinerseits ebenfalls ausdrückt, wie er
über die Sachlage denkt? Es gewährt aber auch das Recht der Adresse den
Vortheil, daß in schwerer Zeit, in hochwogender Zeit eine Verständigung
) St. Ver. S. 44.