Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

106 Reichsiag. 
werden, in einer bestimmten Richtung zu handeln, so müssen Sie auch auf 
die Richtung der Anderen, die im Wesentlichen denselben Zweck, wenn auch 
mlt anderen Mitteln, versolgen, nothwendiger Weise Rücksicht nehmen. Ich 
glaube, eine solche eben bezeichnete Tendenz, wenn sie wirklich vorliegen sollte, 
ist eine durchaus irrige. Sie erreicht das nicht, was sie erreichen will, fie 
erreicht möglicherweise das gerade Gegentheil. Es hat der Herr Abgeordnete 
von Vincke uns in einer früheren Rede gesagt, man müsse sich mit Ver- 
besserungen bescheiden, man mlisse sich wesentlich darauf beschränken, den 
Entwurs zu verbessern, soweit er sich beziehe auf die Militalrverfassung und 
auf die Stärkung der Vertheidigungskraft des Bundes, daneben auch auf 
diejenigen Theile des Entwurses, welche vorzugsweise die Verkehrsfreiheit be- 
träfen, und auf einmal ist es doch gerade der Herr von Vincke hier, der 
sich nach meiner Meinung ohne Noth seiner nun schon so oft ausgesprochenen 
Warnung zuwider, möglichst wenig au dem Entwurf zu ändern, hier gerade 
auf ein Feld einläßt, von dem man doch sagen kann, daß es ein aus- 
schließlich politisches ist, auf ein Feld, wo es sich nicht handelt — wie 
ich zugebe — um große politische Fragen, um große Principien, sondern um 
Zweck mäößigkeitsriücksichten, um Abmessung eines Zeitmaßes, was an 
sich immer ziemlich willkürlich ist. Wenn die Regierungen geglaubt haben, 
eine dreijdhrige Legislaturperiode reiche für sie hin, so glaube ich, können 
anch wir une dabei beruhigen. Meine Herren, man hat so vlel darauf 
hingewiesen, daß die langen Legislaturperioden um deßwillen un- 
schädlich seien, weil die Regierung und respectlve hler der Bundesrath ja 
jederzeit das Recht der Auflösung habe. Nun ich sage, ob die Regie- 
rung von diesem Auflösungerecht Gebrauch machen will, das 
wird sie allein von ihrem Standpunkte aus erwägen. Daneben ist 
das Mittel der Auflösung in vielen Fällen ein sehr bedenkliches; 
wenn nicht besonders eclatante Gründe vorliegen, so wird die Auflösung 
einer Kammer limmer mit sehr unangenehmen Folgen verbunden sein. Eine 
Kammer, die naturgemäß abstirbt, dle naturgemäß wieder auflebt, wird 
viel weniger Aufregung, Mißstimmung hervorrusen, wie die Auf- 
lösung einer Kammer. Man muß also vermeiden die Legielatur- 
perioden so lang zu machen, daß die Wahrscheinlichkeit der Noth- 
wendigkeit der Auflösung wächst. Gerade derartige Auflösungen 
sind gewiß am allerwenigsten zweckmäßilg. Vom Standpunkte des 
Reichstags und der Volksvertretung aber, von dem Standpunkte der Er- 
fahrungen, die wir gemacht haben, meine Herren, von dem Standpunkte aus 
muß man sich sagen, es liegt auch ganz in der Natur der Sache, daß 
eine Regierung nur dann in der Regel zur Auflösung schreiten wird, 
wenn der Reichstag mit ihr selbst nicht einverstanden ist; dann 
aber, wenn der Reichstag zwar mit der Regierung einverstanden, mit der 
öffentlichen Meinung aber längst in Gegensatz gekommen ist — und 
wir haben derartige Parlamente nicht blos in Deutschlaud, sondern in einer
	        
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