Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

118 Reichstog. 
Parlament im jacobitischen Interesse ausfalle. Es war also ein rein 
zusälliger und vorübergehender Umstand, nicht die Sucht der Abge- 
ordneten nach Popularität, welcher bestimmt hat, daß die kürzere Legislatur. 
periode in eine längere umgewandelt worden ist. Wenn sich aber der Abge- 
ordnete von VBincke einmal in England umgesehen hat, hätte er doch zugleich 
nicht blos diese allgemein historisch oben auf schwimmende Thatsache auf- 
greifen, sondern ein wenig tieser hineinsteigen und sich fragen sollen: Wird 
denn von der siebenjäbrigen Legislaturperiode in England viel Ge- 
brauch gemacht, das heißt, lebt denn dort das Parlament sein natürliches 
Eude aus? Der Herr Abgeordnete hätte sich überzeugt, daß vielleicht län- 
ger als seit einem Menschenalter nur ein einziges Mal das Parla- 
ment sieben Jahre alt geworden ist, und zwar das letzte Parlament 
unter Palmerston; alle übrigen sind zum Theil in der ersten Hälfte 
ihres Lebens, zum Theil kurz; nach der zweiten Hälfte aufgelöst 
worden. In England ist es ein allgemein anerkannter Sat, daß 
es vom Uebel sei, wenn ein Parlament bis zu seinem nat rlichen 
Ende lebe. Als das letzte Englische Parlament unter Palmerston 
fünf Jahre alt wurde, sing man allgemein an, über Stagnation zu 
klagen, und in der That weiß alle Welt, daß das letzte Parlament sich 
nicht zum Guten, sondern dadurch ausgezeichnet hat, daß es alle be- 
deutenden Fragen bei Seite schob. Man beurtheilte es in Eugland, 
verurtheilte es mit dem Sat: rest ond, be peaceful. Die Zeit des 
altersschwachen Parlaments war es, in welcher England in seinem 
Ansehen hat herabsteigen müssen, in der wir gerade von diesen Her- 
ren (auf der rechten Seite) haben sagen hören, weun England citirt wurde: 
England spricht nicht mehr mit in Europkischen Fragen. So 
beschaffen war die letzte Palmerston'sche Administration, in welcher das Parla- 
ment ausnahmsweise sieben Jahre alt werden lonute, weil Eugland in der 
Stagnation sich befand. Ich beruse mich auf das Zeugniß der Englischen 
Blätter, welche fast durchweg derselben Meinung waren, und die beiden Um- 
stände in unmittelbaren Zusammenhang brachten. Wenn es aber wahr ist, 
daß selbst in den Ländern, in denen eine siebenjährige Legislaturperiode Ver- 
fassungsrecht ist, durch ein Menschenalter hindurch während einer regelmäßigen 
Reglerungszeit kein Gebrauch davon gemacht, und das Parlament nur unter 
einer stagnirenden Regierung so alt wird, da frage ich, kaun dieses Bei- 
spiel ermuntern, auch bei uns eine längere Legislaturperiode einzuführen? 
Das heißt, Citate aus fremden Ländern mißbrauchen, und nicht, 
sie richtig anwenden! Meine Herren, der Fall liegt meiner Meinung 
nach ganz klar. Die Regierung hat die dreijährige Legislatur- 
periode vorgeschlagen, weil sie gemeint hat, den liberalen Inter- 
essen diese Concession machen zu müssen, weil sie offenbar und mit Recht 
vorausgesetzt hat, daß man eine reaction aire Tendenz darin erkannt haben 
würde, wenn sie vorgeschlagen hätte, unsere in Preußen giltige drei-
	        
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