Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

124 Rrichstag. 
ganz blin dlings in diese Sache hinelntappen, die eine so lang- 
jährige Entwickelung bei uns gesunden hat? Denn wie die 
Preußische Verfassung gegründet wurde, schlug allerdings das Ministerium 
Camphausen, welchem Herr Gras Schwerin angehörte, damals eine vier- 
fährige Legislaturperiode vor, jedoch mit der Maßgabe, daß alle 
zwei Jahre die Hälfte der Abgeordneten neu gewählt werden sollte. 
Die Versassungs-Commission sand diese zweimalige Neuwahl, welche 
eine heterogen zusammengesetzte Versammlung hervorbringen mußte, unge- 
eignet und wählte deshalb den Mittelweg von drei Jahren, während 
von anderer Seite ein oder zwei Jahre verlangt wurden. Das wurde so- 
sort von der Regierung acerptirt und ist durch alle solgenden Verhandlungen 
ungestört durchgegangen. Herr Graf Eulenburg hat sich auf England 
berusen. Er hat gesagt, die Conservativen in England, d. h. also die 
Tories, wären nicht gegen die Septennalität gewesen. Sie waren 
ganz gewiß nicht dagegen, sondern dafllr. Die Llberalen aber 
sind dort immer sehr dagegen gewesen. Soll ich sagen, daß die 
Tories gegen die Emancipation der Katholiken, gegen die 
Resormbill, gegen die Befreiung der Sclaven waren, die drei größten 
Erfolge der Freiheit die das Engliche Parlament in dlesem Jahrhundert er- 
sochten hat, trotz der ungeheuren Hemmschuhe, welche diese allerdings ganz 
verdrehte und gar nicht im wahren Sinne so zu nennende dortige consewa- 
tive Richtung anlegte? Wollen Sic von dort Bespiele suchen, so“ 
ist das nichts Neues. Diese werden von jener Seite (auf die Rechte 
deutend) gewöhulich dann herangezogen, wenn es sich um verrottete Ein- 
richtungen handelt, welche die Engländer sehr gern loswerden 
möchten, aber bei ihrer Achtung für Recht und Geschichte nicht 
so leicht los werden können, wie diejenigen, welche eine neue Gesetz- 
gebung auf rationellem Gebiet zu schaffen haben. Hat es denn bei uns 
an Reaction gesehlt? Ich bitte Sie um Gotteswillen, ich erinnere 
Sie an die traurigen Jahre des Ministeriums Manteussel, welches Herr 
Freiherr von Vincke später eine Zeit lang das „glüccklich beseitigte“ nannte. 
Damals ging es doch wahrhaftig mit Keulenschlägen gegen unfere 
Verfassung los, da wurde ein Stein nach dem andern sortgenommen, 
da blieb zuletzt ein Gebäude stehen, von dem man nicht mehr weiß, in wel- 
chem Baustyle es gebaut war. Es waren Ruinen wieder angeslickt; 
es war gothischer und dann wieder moderner Baustyl. Und wenn 
jetzt so viel davon die Rede ist, daß wir wieder unter Dach und Fach zu 
kommen suchen müßten, dann bitte ich um Gotteswillen, bleiben Sie 
doch in der Consequenz der Entwickelung, die Sie haben; machen 
Sie hier nicht solche ganz unberechtigte, solche in der Luft schwebende 
Baupläne! Wäre eine Behörde für politische Bauconcessionen vorhanden, 
gäbe es füÜr derartige Baupläne eine Oberaussichtsbehörde, so würde diese 
wahrscheinlich zu solchen Amendements nie und nimmer ihre Zustimmang
	        
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