Artikel 32. Tweften. 161
angenommen werden sollen? Die Frage eines guten Wahlgesttzes
ist eine außerordentlich schwierige. Wir sehen dies auch in England,
wo Jahre lang diese Frage ventilirt worden ist und noch leineswegs die
Aussicht gewonnen ist, diese Frage definitiv durch ein principielles Wahlgesetz
abzuschließen. Aus diesem Grunde glaube ich, daß wir uns auch zu be-
scheiden haben, daß wir mit Recht die allgemeinen Principien des directen
gleichen Wahlrechts acceptirt haben, trotz der schweren Bedenken, die auf allen
Seiten des Hauses, nicht blos auf der rechten allein, gegen diesen Wahl-
modus obwalten. Mit der Frage des Wahlrechts Über haupt steht
nun auch die Diätenfrage in der engsten Verbindung und sie ist
auch in meinen Augen eine sehr wichtige. Bel der Discussion im
Abgeordnetenhaufe erklärte Herr Wagener am 17. Januar, er
sei mit seiner Meinung über die tief eingreifende und sehr wichtige
Princlpienfrage der Diäten noch nicht zum Abschluß gelangt.
Jetzt sehe ich, daß Herr Wagener vollständig zum Abschluß gelangt
ist und sich gegen die Diäten erklärt. Der Hauptgrund, den Herr
Wagener angeführt hat, scheint mir nach seiner Deduction: es müsse eine
unerläßliche Garantie gegen das allgemeine Wahlrecht gegeben wer-
den, ebeuso wie vorhin Herr von Brünneck, wenn ich nicht irre, meinte:
„Keine Dläten“ das sei jetzt das einzige Mittel, welches noch für die Würde
und den Patriotismus des Parlaments Übrig bleibe. Meine Herren, ich
sehe nicht ein, wenn die Regierungspartei jetzt Sicherungsmittel
gegen das allgemeine Wahlrecht braucht, warum sie nicht von
vorn herein gegen das allgemeine Wahlrecht gestimmt hat. Will
man auf Umwegen wieder das beseitigen, was man direct ausgesprochen
hat, so würde ich es für zweckmäßiger halten, die Sache selbst gründlicher
erwogen und ernster discutirt zu haben, statt jetzt kleine Auskunftsmittel
gegen ein großes Princip zu suchen. Der Regierungsentwurf empfiehlt aller-
dings dieser Gewichte, welche das Räderwerk des allgemeinen Stiumrechts
paralysiren sollen, noch einige mehr. Wir begegneten zuerst dem Ausschlusse
der Beamten. Der Herr Ministerpräsident meinte neulich: Was
für ein Wahlgesetz auch augenommen werden würde, es würde sich die
Physiognomie dieses Hauses nicht sehr verändern und immer
wieder dieselben Gesichter hier erscheinen. Das gebe ich zu, so
weit es sich um das directe oder indirecte, gleiche oder Klassenwahlsystem
handelt; aber außerordentlich würde sich die Physlognomie des
Hauses verändern, wenn man die Beamten ausgeschlossen hütte.
Im Preußischen Abgecordnetenhause gab es in der letzten Session
137 Beamte im Staatsdienst und außerdem 39 Communalbeamte und
Beamte außer Dienst, im Ganzen 176 oder 50 Procent der gan-
zen Versammlung. In unserem Reichstage sind verhältniß.
mäßig noch mehr Beamte vorhanden, vielleicht mit in Folge des direc-
ten Wahlrechts, obgleich ich demselben, wie gesagt, keinen großen Einfluß
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