Artikel 20. 21. Wagener. 25
kann nicht dasselbe sagen von allen meinen politischen Freun-
den. Ich habe melnerseits in dieser Frage, glaube ich, eine etwas von
meinen politischen Freunden abweichende Stellung, und ich werde mir er-
lauben, diese meine eigene Stellung zu der Frage, die une vorliegt, in kur-
zen Zügen zu seizziren. Ich gehe zunächst, meine Herren, von der Auf-
fassung aus, daß Wahlgesetze mehr oder weniger sormale und
untergeordnete Dinge sind, und daß der Aussall der Wahlen, mag
man dieses oder mag man jenes Wahlgesetz zu Grunde legen, in der Haupt-
sache bedingt und bestimmt werde von den gerade die Zeitepoche
beherrschenden geistigen und politischen Hauptströmungen und
Potenzen, und so meine ich, meine Herren, wir würden, auch wenn wir
zu dem Norddeutschen Reichstage nach dem Dreiklasseusystem gewählt
hätten, in dieser Ver sammlung ungefähr dieselben Personen er-
blicken, dle jetzt diese Plätze einnehmen. (Zustimmung.) Um
deswillen, meine Herren, kann ich auch die sogenannte prineiplelle
Bedeutung dieses allgemeinen und dlrecten Wahlrechts nicht in der
Weise betonen oder wohl gar Uberschätzen, wie das von mancher
Selte geschleht und geschehen ist. Ich, melne Herren, stehe auf dem Stand-
punkte: Wir in Preußen haben bereits das allgemeine Wahlrecht, wir
können es nicht beseitigen, und ich will es auch nicht beseitigen. Wir
haben von diesem allgemeinen Wahlrecht nur hin weggethan Dinge, die
ich meinerseits für vom Uebel gehalten habe, das ist, den Census, und
das ist die indirecte Wahl. Den Census, meine Herren, den ich unter
unseren heutigen Verhältnissen und in specie gegenlber der allgemeinen
Dienstpflicht im Heere für einen Anachroniemus und für eine Ungerechtig-
keit halte, und das indirecte Wahlsystem, was ich meinerselts stets be-
trachtet habe und noch heute betrachtz als den eigentlichen Heerd und Träger
einer factiösen Oppositlon und einer dominirenden Cliquenherrschaft, nicht
für den Träger des intelligenten Bürgerthums. Das intelligente Bürger-
thum würde sich selbst verleugnen und desavouiren, wenn es solcher Krücken
gebrauchte, um seine Stellung, und seinen, wie ich anerkenne, berechtigten
Einfluß, aufrecht erhalten zu können. Ich, meine Herren, — und in dieser
Bezlehung kann ich mich sehr vlelen Ausführungen des Dr. Friedenthal an-
schlieben — ich betrachte das allgemeine directe Wahlrecht als das
unabwelsliche und unvermeidliche Symptom eines bestimmten
soclalen und politischen Zustandes, als den politischen Ausdruck
der Thatsache, daß die corporativen Gestaltungen, die in frühe-
ren Zeiten die Träger des Wahlrechts waren, im Laufe der Entvicke-
lung zersetzt und verloren gegangen sind und daß es uns bisher
nicht gelungen ist, neue an deren Stelle zu bilden und zu schaffen; ich kann
mich deshalb, mit Vorbehalt selbstredend der spccielleren Ausfuhrung, sehr
wohl denjenigen Anschauungen anschließen, die das eigentliche und einzig
richtige Correctiv des allgemeinen Wahlrechts darin finden, wiederum