Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

Artikel 60. Noon. 6353 
soll. Die Möglichkeit aber, bei einer anderen politischen Situation zu einer 
anderen Normirung der Friedenspräsenz zu kommen, ist nicht außer Betracht 
geblieben. Wenn Sie von der Wahrscheinlichkeit sprechen, so muß ich aller- 
dings zugeben, daß ich in dieser Beziehung keinen starken Glauben habe, daß 
dir Bedingungen aushören würden, die heutzutage die Nationen in Waffen 
erhallen, und zwar in stärkerer Zahl erhalten, als es für die friedliche Ent- 
wickelung der Verhältnisse wünschenswerth ist. Die alljährliche Feststellung 
der Friedensstärke ist nach meiner Meinung Überall eine große Unbequem- 
lichkeit für eine Militärverwaltung, weil alle organisatorischen, alle systema- 
tischen Gestimmungen nokhwendig darunter leiden, wenn in jedem Jahr das 
ganze System der Organisation in Frage gestellt werden kann. Wenn, wie 
den Herren nicht unbekannt ist, in Englaud alle Jahre die Frage an das 
Parlament gerichtet wird, ob Überhaupt eine Armee existirt oder existiren soll, 
so ist dies nach meiner Auffassung ein Vorgang, der nicht zur Nachahmung 
reizt, namentlich nicht, wenn der Staat, um den es sich dabel handelt, die 
geographische Lage von Deutschland hat, oder wenn dieser Staat aus elner 
Couföderation von Staaten besteht, wo ohnehin die Friction natürgemäß elne 
viel stärkere und störendere sein muß. Wie wenig die Contingentirung gegen 
das constitutionelle Princip ist, beweist das Beispiel eines Landes, welches 
recht oft von den Enthusiasten des reinen Constitutionalismus citirt wird, 
Belgiens. In Belglen besteht diese Contingentirung insofern wenigstens, als 
die Geldcontingentirung fest steht, als man sich höchstens darüber schlüssig 
macht, ob Belgien eine Armee von einigen Tausend Mann mehr oder weniger 
zu erhalten hat. Aber wenn das feststeht, so steht auch der Geldsatz fest, 
1000 Frcs. pro Kopf. Ich komme aber auf die Geldcontingentirung später. 
Mann könnte nun annehmen — und man hat dies gethan —, daß diese 
Contingentirung der Armee zu ein Procent der Bevölkerung, die nach zehn 
Jahren revidirt werden soll, den Hintergedanken berge, als sollte nach zehn 
Jahren nach Maßgabe der gewachsenen Bevölkerung wiederum ein Procent 
verlangt werden. Wenn ich Zeichen der Verneinung zu meiner Linken be- 
merke, so muß ich doch constatiren, daß ich diese Ansicht noch heute in einem 
sehr verständig, wiewohl mir nicht immer sympathisch redigirten Blatte ge- 
funden habe. Mithin kann ich nicht glauben, daß diese Annahme so ganz 
exorbitant sei, als wenn ich mit Windmühlen föchte. Es hat daran natür- 
lich Niemand gedacht. Man hat zwei Gedanken gehabt bei der Contingen- 
tirung der Kopfzahl: einerseits das Bedürfniß und auf der anderen Selte 
die Sicherstellung des Landes gegen unbegründete Mehrforderungen. Das 
waren doch auch die leitenden Gedanken meiner Gegner, als sie mir vor 
Jahren die Contingentirung als nothwendig angepriesen haben. Also das 
bitte ich nicht zu vergessen: Diejenigen, denen die Contingentirung zu hoch 
ist, mögen doch auch erwägen, daß sie, gesetzlich festgestellt, vor unbegründeten 
Mehrforderungen schützt. Wenn ich nun die Amendements, welche zu diesem 
Artikel gestellt worden sind, ansehe, so bin ich leider in der traurien Noth- 
Materlallen. U.7
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.