Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

Artikel 60. Braun-Web. 375 
Kenntnissen geführt worden ist, nicht plötzlich eines schönen Morgens die 
Reminiscenzen daran von sich abthun kann, wie eln abgelegtes Kleidungsstück, 
so ist en natürlich, dab bei diesen Herren die Erinnerung an den Kampf 
mehr oder weniger fortwirkt, und daß bei uns Anderen, die nicht an 
diesen Kämpfen Theil genommen haben, vielleicht ein Zwelfel an der voll- 
ständigen Unbefangenheilt eintritt — nach der einen oder der andern Seite. 
Was nun aber uns, die wir uns vielleicht einen höheren Grad von 
Unbefan genheit vindiciren könnten, anlangt, so leiden wir dafür an dem 
Fehler weit geringerer Sachkenntniß und sind insofern zu einer Zu- 
rückhaltung verurtheilt, die wir uns eben gefallen lassen müssen, und von der 
ich bereits dadurch Gebrauch gemacht habe, daß ich kein Amendement ge- 
stellt oder unterschrieben und, obgleich an einer früheren Stelle der Redner 
liste stehend, meinen ursprünglichen Platz einem Manne einge 
räumt habe, von dem ich, ohnc mich gerade dem Vorwurf der Bescheiden- 
heit auszusetzen, sagen kann, daß er die Dinge besser versteht, wie ich, 
nämlich dem Abgeordneten für Memel (Freiherrn von Molkte). 
(Bravol) Ich glaube, die überwiegende Mehrheit des Reichstages 
ist über zwei Dinge einig, nämlich: 1. darüber, daß wir die Reorgani- 
sation schlechtweg genehmigen wollen und 2. darlber, daß eine Con- 
tingentlrung der Friedensstärke und eine Contingentirung des 
Geldbeitrags für die Friedenszeit stattfinden muß. Die Mei- 
nungen gehen nur darllber auseinonder, ob auf unbestimmte Zeit, 
oder auf fixirte Zeit, ob, wenn auf fixirte Zeit, auf wie lange, und 
ob, wenn auf fixirte Zeit, man das, was nach dieser fixirten Zeit kommt, 
der natürlichen Entwickelung der Dinge überlassen, oder irgend 
eine Borkehrung treffen muß, daß man aulcht in das von jener 
Seite (rechts) gefürchtete „Vacuum“ fällt. Das sind meiner Mei- 
nung nach die einzigen Differenzpunkte. Was nun den Antrag des Abge- 
ordneten von Forckenbeck anlangt, so hat er einen großen Vor zug: er 
beschwichtigt nämlich eine Menge constitutioneller Bedenken, und ist dadurch 
sehr geeignet, eine große Masorität nicht nur in dem Reichstage selbst zu 
sichern, sondern auch an anderen Orten außerhalb des Reichstages, die auch 
für die vorliegende Frage mehr oder weniger maßgebend sein können, info- 
fern als es zwar vielleicht verfassungsmäßige Mittel giebt, einen etwaigen 
Wlderspruch dork zu beseitigen, allein die Anwendung dieser Mittel doch so 
vlel Mißständiges mit sich führt, daß, wenn man deren Anwendung unter- 
lassen kann, sie besser unterbleibt. Ich werde also für den Antrag des 
Herrn von Forckenbeck stimmen in der Voraussetzung, daß er bel 
der Regierung nicht definitiv auf unlberwindliche Schwierigkeiten stößt, ppeitens 
in der Voraussetzung, daß es wohl möglich sein wird, einen Ausweg dafür zu 
sinden, den horror vacui durch irgend einen Zusatz zu Urtikel b8 d. C. zu be- 
seitigen und 3. mit dem Vorbehalt, in Betreff des Zeitraumes noch 
etwas weiter zu gehen, wenn darin eine Ausgleichung der widerstrebenden
	        
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