Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

378 Bundeskriegswesen. 
nung des Norddeutschen Bundes, denn sobald der Suden beitritt, wird diese 
Ziffer von Neuem in Erwägung kommen müssen. Wenn der Süden beige- 
treten ist, so können wir es vor unserem Gewissen verantworten, diese Ziffer 
zu ermäßigen. Es ist aber zweitens eine Frage der internationalen Verhält- 
nisse, denn die Frage der Stärke der Wehrkraft und der Schlagfertigkeit, dir 
kann man nicht allein vom inneren Standpunkte aus beurtheilen; da bedarf 
es vielmehr auch der Berlcksichtigung der internationalen Berhältnisse. Wenn 
alle Welt rüstet, wenn alle Welt von Wafsfen starrt, wenn „Feinde ringsum“ 
find, dann kann ein einzelnes Land nicht das Gewehr in's Korn werfen, dann 
muß es sich rüsten, der Aufgabe zu genügen, die ihm möglicherweise auf- 
gedrungen wird; denn es heißt: „Kann ich im Frieden leben, wenn's meinem 
bösen Nachbarn nicht gefällt?“ (Bravol) Ich gebe mich der Hoffnung hin, 
daß die Kulturentwickelung Europas mit der Zeit so weit fortschreitet, daß 
sie in Verbindung mit dem täglich immer schlimmer werdenden Nothstande 
der Finanzen in gewissen europäischen Staaten, die ich schonungshalber hier 
nicht nennen will, (Heiterkeit) — daß also diese beiden Potenzen in Gemein- 
schaft, erstens die schlechten Finanzen der speziellen Länder und zweitens die 
Kulturentwickelung des Ganzen, mit der Zeit dahin führen, daß die stehenden 
Heere um ein bedeutendes reducirt werden. Aber wir sind im Augenblicke 
nicht Die, die damit anfangen können. (Sehr richtig!) Ich glaube, man 
muß das Anfangen Denjenigen Überlassen, deren Finanzstand die dringendsten 
Motive dazu an die Hand giebt. (Bravosl) Es wird uns nun freilich ge- 
sagt, mit einem solchen Provisorium habe man den Conflict nur vertagt, er 
werde doch wieder kommen. Ich glaube, meine Herren, wir haben nicht den 
Conflict vertagt, wir haben die Lösung vertagt, und das Provisorim 
bringt uns den Zustand der definitiven und vollständigen Lösung, den 
wir in dem gegenwärtigen Augeublick durch unsern Antrag anzubahnen suchen. 
Worin bestand denn eigentlich der Conflict? Er bestand in der Frage: soll die 
Friedensstärke von der Krone fixirt werden, oder soll die Friedensstärke von der 
Volksvertretung fixirt werden? Welche Antwort giebt uns darauf der Entwurf 
der Berfassung? Er giebt uns die Antwort: die Friedensstärke soll nicht von der 
Krone allein, und sie soll nicht von der Bolkevertretung allein fixirt werden, son- 
dern sie soll fixirt werden durch einen Vertrag zwischen den verbündeten Regie- 
rungen einerseits und dem Reichstag andererseits, durch einen Vertrag, den wir 
„Verfassung“ nennen und mit Recht so nennen, denn jede Berfassung ist ein 
Vertrag. (Sehr richtig!) Ein solches Verfassungsgesetz legt allerdings nach bei- 
den Seiten hin Resignation auf für die Zeitpersode, für welche es zu Standekommt; 
es legt der Krone den Verzicht auf die Erhöhung, es legt der Bolksvertretung 
den Berzicht auf die Herabsetzung für die bevorstehende Interimsperiode auf. 
Aber das ist ja gerade das Charakteristische des Pactirens, im Gegensatz zum Oc- 
troyiren und zum Dictiren, daß an die Stelle des Streites und an die Stelle ein- 
seitiger Ueberwältigungsunternehmungen ein beiderseits pactirter, zweiseitiger 
Bertrag tritt, und dieses Ziel wollen wir im gegenwärtigen Angenblick anftreben
	        
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