Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

46 Reichstog. 
un bedingten Rechtsschutzes, er hat das Recht, frei zu gehen, zu 
wandern, zu verkehren, er hat das Recht, frei zu denken, er hat das 
Recht, frei zu beten; aber, meine Herren, er kann un mögllch nach 
seiner Vernunft und Sitte das Recht in Anspruch nehmen, für 
feine Mitmenschen den Gefetzgeber zu ernennen. Dieses Recht 
kann ihm nur erwachsen, wenn er der Gemelnschaft seiner Mit- 
menschen sich zu demselben qualisieirt erweist, wenn er der Ge- 
meinschaft nachweist, daß er die Leistungskrast und die Leistungsbereitwillig= 
keit hat, ohne welche im Staate und in der Gesellschaft Niemand ein her- 
vorragendes Recht der Herrschaft auszullben befugt sein soll. Und, meine 
Herren, foweit ich die Geschichte parlamentarischer Staaten kenne, ist nie- 
mals parlamentarifche Macht, ist niemals parlamentarische 
Wirksamkelt dauernd entwickelt worden, wo nicht das Wahl- 
recht fort und sort nach dlesem Maßstabe von Seiten der Gemein- 
schaft, von Selten des Staates bemessen und den Einzelnen Überllesert 
worden ist. Der Staat, der in größerem Maße als jeder audere die Kraft 
der parlamentarischen Institutionen entwickelt hat, der Englische Staat, 
hat bis zu Anfang dieses Jahrhunderts den Gedanken des all- 
gemeinen Stimmrechts nicht gekannt. Grade in dem vorigen 
Jahrhundert, wo das Unterhms Schritt auf Schritt in seiner impo- 
fanten Entwickelung that, war am allerwenigften die Rede von der 
politlichen Anschauungsweise, die ich eben kurz beschrleben habe; 
Niemand hatte den Gedanken daran, daß der einzelne Mensch krast seiner 
Mernschenrechte, krast seines persönlichen Daseins zur Auslbung des Wahl. 
rechts berusen werden könnte. Es waren hberall historische Titel, welche 
den Genossenschaften, welche den Einzelnen das Wahlrecht verliehen; es war 
vor allen Dingen die thätige, opfervolle Stellung im Selsgovern- 
ment des Landes, welche die Genossenschasten und die Einzelnen in das 
Parlament berief. Und, meine Herren, nachdem im Jahre 1831 durch die 
Reformbill dieser Boden verlassen worden, hat in England eine Ent- 
wickelung begonnen, von der bis jetzt noch kein Prophet scharf- 
finnig genug gewesen ist, um sagen zu können: ist sie eine Ent- 
wickelung zum Besseren oder ist sie der Weg zur Euthanasie der 
parlamentarlschen Verfassung in England? Der Sohn des großen 
Schöpsers der Reformbill, Graf Grey, der, wie sein Vater, eine Führer- 
stellung in der liberalen und whigistischen Partet einnimmt, dlefer selbe Mann 
erklärt, daß mit der Übermäßigen Ausdehnung des Wahlrechts der Fort- 
bestand der parlamentarischen Regierung und der parlamen- 
tarischen Verfaffung unverträglich sei. In Frankreich hat man 
das allgemeine Stimmrecht. Als es eingeführt wurde, pflegten Franzbsische 
Staatsmänner von gemäßigter Richtung sich wohl auf die Hoffnung zu be- 
ziehen, man würde durch die Wirksamkeit dieser Institution allerdings nicht 
sofort die Einsicht der Nation zur Herrschaft bringen, sie würden aber die
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.