Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

570 Schlichzung von Streiligkeiten 2c. 
in dem betreffenden Bundesstaate ergiebt. Es ist also auch nach dieser Seite 
hin nicht ein eigentliches Urthell, welches ergeht, sondern es wäre eine poli- 
tische Maßregel oder, wie man es sonst wohl nennt, ein Staatsstreich. Ich 
wüßte wenigstens nicht, wie die Eventualität, daß von politischen Gesichts- 
punkten aus eine streitlge Versassungsfrage gelöst werden soll, anders quali- 
ficirt werden könnte als in dem von mir bezeichneten Sinne. Ich fühle 
mich nun freilich nicht im Stande, einen directen, positiven Vorschlag vor 
die Hohe Versammlung zu bringen, wodurch man den beiderseitigen Inter- 
essen gerecht werden könnte. Ich bin der Meinung, daß es gegenüber der 
Sachlage, wie sie uns geschaffen ist, unendlich besser ist, diese Streitigkeiten 
der Zukunft zu überlassen. Es wird dadurch vielleicht manche Unbequemlich- 
keit herbeigeführt aber doch kein so tiefer Riß in die wirklichen Rechts- 
zustände gemacht werden, wie dies bei Annahme des Artikel 70 in Aussicht 
steht. Ich meine vielmehr, daß der Reichstag darüber nicht zweifelhaft sein 
kann, daß die Frage, um welche es sich hier handelt, nämlich die Erledi, 
gung von Verfassungsstreitigkeiten ausschließlich durch einen Urtheilsspruch, 
durch ein Gericht könne gelbst werden. Und wenn ich nun weiter anerkenne, 
daß es den Staatsregierungen und der Bundesregierung nicht zugemuthet 
werden kann, diese Frage durch die Landesgerichte lösen zu lassen, so liegt 
darin die weitere Nothwendigkeit, als competentes Forum für alle derartigen 
Fragen nur ein zuklinftiges Bundesgericht anzuerkennen. Ich muß es in 
der That für einen beklagenswerthen Fehler erachten, daß in dem Entwurf 
das Wort „Bundesgericht“ nicht zu finden ist, daß es gänzlich ignorirt, daß 
es todtgeschwiegen ist. Diese Thatsache ist um so befremdender, als es gerade 
die Königlich Preußische Staatsregierung, die doch die Hauptstimme bei unse- 
ren heutigen Maßnahmen hat, gewesen ist, welche zum großen Danke der 
ganzen Deutschen Nation von Ansang an, d. h. von dem Wiener Congresse 
an, sort und fort mit der größten Entschiedenheit die Nothwendigkeit eines 
Deutschen Bundesgerichts betont hat, daß sie immer wieder darauf zurück- 
gekommen ist und sich nicht hat beirren lassen durch die vielen Widerwärtig. 
keiten, die der Particularismus diesen Forderungen entgegenstellt. Es ist 
namentlich ein hohes Verdienst des Königs Friedrich Wilhelm IV., daß er 
lange Zeit vor der Sturmbewegung von 1848 auf diese Nothwendigkeit hin- 
gewiesen hat. Damals hat Se. Majestät der König erklärt, es gehbre zu 
den unabweislichsten Bedürfnissen, zu den Bedürsnissen ersten Ranges, daß 
Deutschland ein Bundesgericht zu Theil werde. Es ist dieses Princip später- 
hin von der Frankfurter Natioualversammlung, sowie durch das Erfurter 
Parlament nicht bloß anerkannt, sondern in einem Gesetzentwurfe formulirt 
worden. Es ist eben so auf der Dresdener Conferenz, wo doch die Sturm- 
fluth der Revolution längst abgelaufen war, von den Regierungen einmüthig 
anerkannt worden, daß ein Bundesgericht endlich einmal verwirklich werden 
müßte. Ich kann es mir nicht versagen, wenige Worte Ihneu vorzulesen, 
welche in der Denkschrift enthalten sind, welche die Krone Preußen mit
	        
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