Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

Artike 74—77. Sevigny. 585 
gen In Betreff der Einführung eines solchen Bundesgerichts hier für 
zweckmäßig erachtet hat, und zwar aus mannigfachen Gründen, auf 
deren weitläufigere Auseinandersetzung ich hier nicht einzugehen brauche, da 
site Interna zwischen den Regierungen betreffen. Man hat sich aber 
von verschiedenen Seiten, und speciell Seitens des letzten geehrten Herrn 
Vorredners, auf die Anschauung der Königlich Preußischen Regie- 
rung berufen und — vom Wiener Congresse angefangen — auf 
die Ansicht von Humboldt üÜber das Bundesgericht und den Ac- 
cent, welchen er auf solches Institut gelegt habe. Das sind Facta, 
die Niemand bestreiten wird; zur Zeit des Wiener Congresses aber 
gab es eine Verfassung des Norddeutschen Bundes, wie wir sie jetzt 
die Ehre haben Ihnen vorzulegen, noch nicht (Heiterkeit); es gab damals 
auch keinen Bundesrath und schlleßlich auch keinen Reichstag, also 
die Factoren, an die wir die Erledigung dieser Angelegenheit jetzt verweisen, 
standen gar nicht dem seligen und berühmten Minister von Humboldt 
zu Gebote; die concreten Verhältnisse waren damals auch ganz andere. Es 
ist aber auch nicht bloß Herr von Humboldt, dieser bedeutende Preußische 
Staatsmann, und später in Erfurt auch Herr von Radovitz, bei der 
Vorlage seiner Verfassung auf denselben Punkt zurückgekommen, sondern auch 
von anderer Seite her haben sich andere Deutsche Staatsmänner oft 
mit entschiedenem Behagen auf diesem Terrain bewegt, d. h. sie haben diese 
Materien als ekwas sehr Wünschenswerthes zu näherer Formulirung bezeichnet. 
Wie kommt es nun, daß dies Alles dennoch niemals einen rechten 
Erfolg gehabt hat? Das muß doch wohl seine guten Gründe gehabt 
haben, und ich glaube mich nicht zu irren, daß, wenn es darauf ankam, 
die Sache in's Leben zu rufen, die meisten Staaten Bedenken getragen 
haben, mit Rücksicht auf die ihnen theure Selbstständigkeit und 
Souveralnetüt im Voraus sich dieser zu begeben. Ich glaube, 
daß die Preußische Regierung ihrerseits auch jetzt nicht gewillt 
sein dürfte in ein ähnliches Verhältniß zu treten. Das heißt für 
Fragen, die nicht rein privatrechtlicher Natur sind, sondern recht 
eigentlich Fragen, die sich auf politischem Gebiete bewegen sollen, könnte man 
einem Staate wie Preußen ebenso wenig wie selnen Mitverblindeten anem 
pfehlen, sich a priori dem Urtheil eines Collegiums zu unterwerfen, das 
wenn es auch aus noch so namhaften und bedeutenden Elementen zusammen- 
gesetzt sein sollte jedenfalls denn doch vorzugsweise bloß nach rein juristischen 
Grundsätzen und nach Maßgabe rein juristischer Gesichtspunkte entscheiden 
würde. Man braucht sich deshalb vor dem Recht selbst nicht zu scheuen. 
Wir glauben aber, daß Fragen von eminent politischer Natur welt besser so 
behandelt werden, wie es ihre Natur erheischt und wie es ihre Natur indi- 
eirt. Darum haben wir es vorgezogen, einmal den Bundesrath und dann 
den andern Factor der Gesetzgebung, nämlich den Reichstag zu berusen, um
	        
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