Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

588 Schlichtung von Streitigkeiten 2c. 
geschützt werden sollen. Man kann auch sagen, dah nach unseren Sitten 
und Gewohnhelten der besondere Schutz für die Bundesbeamten in derselben 
Welse gehandhabt werden solle, wie es für die Beamten der einzelnen Staaten 
der Fall ist. Darum schließe ich mih der Ansicht an, daß wir diese Be- 
stimmung votiren können. Dagegen bitte ich Sie dringend, den Zwischen- 
passus zu streichen, welcher auch Strafen einführt gegen „Erregung von Haß 
oder Verachtung gegen die Einrichtungen des Bundes oder die Anordnungen 
der Bundesbehörden durch öffentliche Behauptung oder Verbrritung erdichte- 
ter oder entstellter Thatsachen oder durch öffentliche Schmähungen oder Ber- 
höhnungen“; diese Bestimmung des Preußischen Strafrechts findet sich so 
viel ich weiß außer Deutschland in keiner Gesetzgebung und auch niur in sehr 
wenigen Deutschen Gesetzgebungen außer Preußm. Er ist einer derjenigen 
Artikel, welcher durch die Praxis vieler Gerichte in hohem Grade mißbränch- 
lich angewendet worden ist und wiederholt Anstoß erregt hat. Die Bestim- 
mung, welche schon bei der Einführung des gegenwärtigen Strafgesetzbuches 
von vielen Seiten bemängelt und bestritten ist, sollte dadurch, daß kräftige 
Ausdrücke gebraucht wurden: „Haß und Verachtung, Schmähung und Ber- 
höhnung“ dagegen sichern, daß nicht bloßer Tadel, bloßer Widerspruch gegen 
Einrichtungen und Anordnungen der Obrigkeit bereits für strafbar erachtet 
werden. Die Praxis aber vieler Gerichte hat in der That diese Worte un- 
gefahr so angewendet, wie in den einstigen Censurverordnungen die Rede war 
von anstündig und wohlmeinend und erklärt jeden Tadel, jeden Wider- 
spruch für strasbar, wenn er über das hinausgeht, was in den alten Censur= 
ordnungen als wohlmeinend oder anständig gqualificirt war. Ich möchte 
diejenigen Herren, welche nicht an die Prrußische Praxis gewöhnt find, dar- 
auf aufmerksam machen: Wenn Jemand außerhalb der Wände dieses Hauses 
über Einrichtungen des Preußischen Staates so sprechen wollte, wie der Herr 
Ministerpräsident Graf Bie marck bei der Berathung Über das Wahlrecht 
über unser Klassenwahlsystem sprach, so würde er mindestens eines der Zehn- 
thaler-Erkenntnisse entgegenzunehmen haben, deren der Herr Graf Bismarck 
damals erwähnte. (Große Heiterkeit.) Es könnte aber auch schlimmer kom- 
men, und es könnte sich um einige Monate handeln. (Erneute Heiterkeit.) 
Nun, meine Herren, diese Artikel sind in Preußen stets ein Gegenstand des 
Widerspruchs und des Angriffs gewesen, man hat immer behauptet, mit 
einem freien öffentlichen Leben, mit einer wirklichen Discussion der Staats- 
angelegenheiten vertrage sich diese Strafbestimmung nicht, und ich glaube da- 
her, wir dürfen unter keinen Umständen diesen berlchtigten Haß= und Ver- 
achtungsartikel weiter ausdehnen, und ihn auch in die neue Bundesgeseyge- 
bung importiren; darum bitte ich Sie dringend, streichen Sie diese Worte. 
(Bravol)
	        
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