Artikel 79. Micquel. 633
schritten hat, so haben wir es doch unsererseits für nöthig gehalten, nament-
lich den Suddeutschen Brüdern gegenber, ein offenes Zeugniß von der Ge-
sinnung des Reichstages abzulegen. Wir wollen vor der Nation durch unsern
Antrag erklären, daß wir uns nicht werden zufrieden geben mit lediglich inter-
nationalen Verträgen zwischen Nord= und Süddeutschland, daß das Zlel und
die Ausgabe der Nation eine volle staatliche Vereinigung aller Theile ist.
Wir können das aber nicht in der Form thun, welche der Antrag der Her-
ren Abgeordneten Duncker und Genossen wählt; wir können nicht erklären,
daß diese sämmtlichen ehemaligen Bundesländer in den Norddeutschen Bund
eintreten können, wenn sie wollen. Wir können nicht glauben, daß es unsere
Ausgabe sei, Oesterreich zu zerreißen; wir können nicht glauben, daß es
ein Gegenstand der practischen Politik sei, auf eine Vereinigung der ehe-
maligen Oesterreichischen Bundesländer mit Deutschland jetzt hinzuwirken.
Was die Zukunst auch in dieser Beziehung bringen mag, wir wissen es
nicht; einen Gegenstand der practischen Politik bildet aber diese Frage heute
nicht. Wir können aber auch nicht bei allen Wünschen, die wir hegen für
den baldigen Eintritt Süddeutschlands, es abhängig machen lassen von dem
Belieben jeder Süiddeutschen Regierung, den Zeitpunkt zu wählen, an welchem
sie eintreten will. Es hängt das von den Europäischen Fragen ab, es hängt
das von der richtigen Beurtheilung des geeigneten Augeublicks ab, und man
kann die Entscheidung der Opportunitätsfrage für den einzelnen Momeut
nicht allein in die Hand der Süddeutschen Regierungen legen. Allein der
Staat Preußen, der schließlich die Verantwortung zu tragen und die Folgen
durchzufechten hätte, kann ülber diese Frage entscheiden. Deswegen sagen wir
in unserem Antrage, es solle der Eintritt der Sliddeutschen Staaten erfolgen
auf den Vorschlag des Bundespräsidlums d. h. der Krone Preußen. Wir
sagen weiter, daß der Eintritt erfolgen solle im Wege der Bundesgesetz-
gebung. Wir wollen damit einigermaßen flr den vorliegenden Fall die
Schwierigkeiten, die in jeder Versassungsänderung liegen, erleichtern; wir
wollen die Formen mildern, die da nöthig sind für diesen Eintritt. Zwar
verkennen wir keinen Augenblick, daß sehr wesentliche Veränderungen dieser
Verfassung nothwendig werden, wenn die Süddeutschen Staaten eintreten;
wir gerade glauben allerdings mit dem Herrn Abgeordneten Bebel, daß in
diesem Falle die Garantien, welche der Prcußische Staat in der vorliegenden
Bundesverfassung erhalten hat, in keiner Weise genügen; wir glauben, daß
nach vielen anderen Richtungen die Versassung, wie wir sie hier berathen
haben, ungenügend sein würde in dem Augenblick, wo ganz Deutschland sich
vereinigte. Aber wir wollen diese Veränderung lediglich in den leichtern
Formen der Gesetzgebung ermöglichen, wo die einsache Mehrheit des Bundes-
raths, die einsache Mehrheit des Reichstages genügen würde. Es ist undenk-
bar, daß eine Mehrheit des Bundesraths und eine Mehrheit des Relchstages
bei dieser Gelegenheit Beschlüsse saßte, welche die nothwendig prädominirende
Stellung Preußens gefährdeten; denn indem wir dem Bundespräsidium den