Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

Artikel 20. 21. Biemarck. 55 
vollständig schaffen läßt, so würden die verbündeten Regierun- 
gen für jede partielle Abhülfe, die hier durch Reichstagebeschluß ge- 
währt würde, immer noch dankbar sein. In dieser Richtung würde 
1. B. das Amendement, welches zuletzt eingebracht wurde, welches auf 
die geistlichen und richterlichen Beamten den Anueschluß be- 
schränkt, wie ich glaube, fämmtlichen verbündeten Regierungen 
annehmbar sein. (Bewegung.) Wie mir vorschwebt, exlstirt derselbe Aus- 
schluß der richterlichen Beamten in mehreren fremden Verfassungen. 
Daß die Betheiligung an den Parteikämpfen auf dle Richter 
einigermaßen mehr zur Üückwirkt, als mit der Unparteilichkelt 
der rich terlichen Stellung verträglich ist, (Oh, oh! links) meine 
Herren, davon habe ich selbst vielfache Beispiele erlebt. Ich will 
Ihnen nur eines eiliren. Ich bin namentlich in den ersten Jahren meiner 
Amteführung ungemein ost in der Lage gewesen, daß mir Erkenntnisse, 
die ohne mein Wissen und meine Anregung gefaßt waren, wegen Beleidi- 
gung des Preußischen Ministerpräsidenten zur Einsicht zugeschickt 
wurden mit der Anfrage, ob ich sie veröffenklichen lassen wolle. Ich habe 
manche dieser Erkennknisse gelesen, audere nicht. Im Durchschnitt sand 
ich, daß dieselben Beleidigungen, die, wenn ein ehrbarer Handwerks- 
meister fie gegen einen andern ausspricht, eine schwere Strase, wenn er sie 
offentlich ausspricht, Gesängniß oder eine höhere Geldstrase nach sich ziehen 
können, dem Preußischen Ministerpräsidenten gegenllber angewendet. durch- 
schni ttlich 10 Thaler kosteten. Für 10 Thaler hatte Jeder die 
Freiheit, mir die schmachvollsten Injurien öffentlich zu sagen 
oder drucken zu lassen, die er wollte. (Helterkeit nud Bewegung.) 
Daß da mit einem Maße gemessen war, welches von politischer Beeinflussung 
ganz frei gewesen wäre, den Eindruck habe ich nicht gehabt. Er wurde aber 
noch dadurch verstärkt, daß ich in einzelnen dleser Erkenntnisse die 
richterliche Motiolrung las: es lägen doch milderude Umstünde 
vor, denn dieses Ministerium tauge wirklich nichts. (Große an- 
dauernde Heiterkeit.) Nun srage ich: kaun mit solchen Raisonnements eines 
erkennenden Richters der Eindruck von Würde, von Ansehen, von Unpar- 
teilichkelt aus die Dauer aufrecht erhalten werden, dessen die richterliche Stel- 
lung bedarf? Die Herren werden aus meiner Darlegung entnommen ha- 
ben, daß die Aufrechthaltung des Artikels genan wie er steht, 
für mich gerade nicht, wenn ich so sagen soll, eine Cabinets= 
srage ist, daß ich mich aber freuen würde, wenn der Reichstag eine 
oder die andere der Ansichten, die ich hier ans eigener Erfahrung aus- 
gesprochen habe, durch seinen Beschluß best ätigte, indem entweder wenigstens 
die geistlichen und richterlichen Beamten ausgeschlossen würden, oder — was 
mir noch lieber wäre, — dasjenige Amendement, welches den Zwangsurlanb 
auch hier einführen will, abgelehut würde.
	        
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