668 Schlußberathung.
welcher damals die Majorität des Abgeordnetenhauses bestimmte, die Bildung
der ersten Kammer ausschließlich in die Hände Seiner Majestät des Königs
zu legen. (Widerspruch.) Ja, ich habe es damals so ausgesprochen, es ist
also meine Ueberzeugung gewesen. Ihnen, meine Herren, steht es frei, an-
zunehmen, dah ich mich damals in meiner Ueberzeugung geirrt habe. Ich
spreche ja auch heute nur meine subjective Ueberzeugung aus, natürlich chen-
falls salvo meliore. Damals ward aber diese Ueberzeugung namentlich von
der Seite des Abgcordnetenhauses ausgesprochen, welches gegen die Wünsche
des Mitgliedes für Neustettin und gegen die lauten Protestationen anderer
Mitglieder der Rechten dies Princip durchgesetzt hat, indem wir glaubten,
dies zur Erhaltung der Würde der ersten Kammer durchsetzen zu mussen.
Aber, meine Herren, ich will auf eine noch concretere Thatsoche verweisen,
indem ich Ihnen die jetzigen Verhältussse des Preußischen Herrenhauses vor-
führe. Die Zahl der Mitglieder des Herrenhauses beträgt einige 230, und
es hat sich dabei sehr schnell die Unmöglichkeit herausgestellt, die absolute
Malorität dieser Zahl zu versammeln, also ein beschlußfählges Herrenhaus
zu Stande zu bringen. Darum hat man schon im Jahre 1855 eine Ab-
änderung des Aniikels 80 der Preußischen Verfassungsurkunde gefordert und
durchgesetzt, wonach nicht mehr die Hälfte der Mitglieder des Herrenhauses
erforderlich sein, sondern schon die Zahl von 60 anwesenden Mitgliedern zur
Beschlußsählgkeit genügen soll. (Einige Stimmen: In England 40.) Wie?
Präsident. Ich bute, nicht während seiner Rede mit dem Redner in
private Diecussion einzutreten.
Reichensperger fortsahrend. Die Zahl von 60 ist das jetzige gesetz-
liche Minimum, welches anwesend sein muß, um Beschlußfähigkeit herzustel-
len, also 1 der Gesommtzahl. (Mehrere Stimmen: In England 40.) Meine
Herren! Ich verstehe nicht Ihre Worte.
Präsident (zu dem Rchner). Ich bitte, sich an das Haus zu wenden,
nicht aber an einzelne Mitglieder.
Reichensperger fortsahrend. Also man hat sich genöthigt gesehen, weil
unter die Hälfte der berechtigten Zahl der Mitglieder herunterzugehen. Aber
nicht genug damit, auch gegenüber dieser Herabsetzung ist die Beschlußfähigkeit
noch nicht gesichert gewesen. Es hat sich nämlich welterhin herausgestellt,
daß insbesondere die von den Städten (einigen 30 an der Zohl) und die von
den Unioversitäten präsentirten Mitglieder in Ermongelung der Diäten im
Herrenhause nur spärlich erschienen sind, und man hat sich veranlaßt gesehen,
diesen Mitgliedern aus den Unlversitätskossen und aus den städtischen Kassen
Entschädigungen zahlen zu lassen. (Hört!) In einzelnen Städten — es find
deshalb auch Beschwerden an das Abgeordnetenhaus gekommen — hat man
diese Ausgaben seitens der Regierung sogar in das städtische Budget sorcirt.