Oenerasdebatte. Reichensperger. 669
Ich frage nun das geehrte Mitglied für Neustettin, wie er sein Hauptargu-
ment für die Streichung der Diäten aufrecht erhalten will diesen Thatsachen
gegenüber? Er hat nämlich gesagt, er wolle durch die Diätenverweigerung
keineswege die Intelligenz ausschließen; dieselbe werde auch thatsächlich nicht
ausgeschlossen; es werde nur ausgeschlossen „das Proletariat der Intelligenz“.
Nun, meine Herren, fat applicatio! Ich habe es nicht nöthig, noch näher
zu exemplisiciren. Ich behaupte einfach, daß es ein Irrthum ist, wenn man
meint, man könne unter Verweigerung der Diäten eine andere Versamm-
lung dauernd zusammenhalten als etwa ein Abbild dessen, was das Herren-
haus heute darstellt. Jedenfalls bin ich der Meinung, daß der Standpunkt
der Staateregierung, der aus der Bewilligung von Diäten ein kategorisches
Hinderniß für das Zustandekommen der Norddeutschen Bundesverfassung
macht, ein entschieden willkürliches Factum ist, das durch die Nakur der Sache
nicht gerechtfertigt wird und keine Präcedenzien hat, daß also die Verant-
wortlichkrit eines solchen negativen Resuliats auf Niemand anders als auf
die Königliche Regierung selbst fallen würde. Es ist zum Schluß noch im
Allgemeinen gesagt worden, der Reichstag dürfe keine wesentlichen Abände-
rungen vornehmen, weil anderen Falls die Bundesgenossen nicht gebunden
seien; sie seien blos gebunden an den vorliegenden Verfassungsentwurf, man
müsse sie also mit demselben festhalten. Meine Herren, ich verwerfe diese
ganze Anschauung als absolm unzulässig; sie scheint ja wirklich auf der Idee
zu beruhen, als hätte man die Klein= und Mittelstaaten nur überrumpelt,
als hätte man sie gewissermaßen in einem Netze eingefangen, in dem man
keine Masche öffnen dürfte, wenn sie nicht wieder entschlüpfen sollten. So
meine Herren, steht die Sache Gottlob doch wohl nicht; wenn sie aber so
stände, so wäre das ein höchst ungluckliches Omen für die Zukunft. Ich
behaupte aber auch zweitens, daß eine Gefahr des Rücktritts von Seiten der
Bundesregierungen in Folge der vorläufigen Beschlüsse des Reichstages ohne
Zweifel nicht besteht; denn die Hauptbestimmung, worum es sich handelt,
nämlich das Budgetrecht, ist ja auch in ihrem Interesse, sie werden wahrlich
nicht passionirt sein, die Budgetlast möglichst hoch zu schrauben, da sie an-
erkannt haben, sie vor der Hand gar nicht leisten zu können; das Budget-
recht des Reichstages kann aber jedenfalls nur Ermäßigungen der Bundes-
belastung zur Folge haben. Die einzige Regierung, welche allerdings daran
Interesse hat, daß die Amendements nicht definitiv angenommen worden, ist
die Königlich Preußische Staatsregierung, — diejenige Staatereglerung also,
die auf der andern Seite das dringendste und höchste Juteresse am wirklichen
Zustandekommen des Bundes hat. Diese Königlich Preußische Staatsregierung
kann gegenüber einem der in Frage stehenden Abänderungsanträge aus dem
Grunde ein kategorisches Nein unmöglich aussprechen, weil es doch einmal
Thatsache ist, daß die Krone Preußen durch den Verfassungsentwurf, wie er
hier unbestritten feststeht, eine solche Fülle von Macht, von Recht und von
Hoheit gewinnen wird, wie sie keinem früheren Deutschen Kaiser zur Seite