62 Reichstag.
tage verspreche, diejenige Fortbildung, ohne welche das Werk nicht gelingen
konn. Zom Schluß noch ein Wort, meine Herren. Das geehrte Mitglied
für Hagen hat uns neulich einen Brief mitgetheilt, worin stand: Der
liebe Gott frage von Zeit zu Zeit an, ob die Deutschen ulcht gescheuter ge-
worden wären. Meine Herren, vor dieser höchsten Macht, glaube ich, giebt
es leinen Unterschied zwischen Regierungen und Regierten: lch bin Uberzeugt,
daß diese Frage von jener höheren Macht an uns Alle gestellt wird.
Schulze (rc. Delitzsch)). Ich habe bei der vorgerlckten Zeit am meisten,
meine geehrien Herren, zu bedauern, daß der Vertagungsantrag bei dieser
wichtigen Frage nicht noch zur Geltung gebracht werden konnte, und will
mich dasur bemlihen, so kurz wie möglich (Bravol) Ihnen die Sache vor-
zuführen, von der Sie mir aber wohl zugeben werden, daß sie Wurzeln
schlägt in so großen bedeutenden Gebieten, die weit Über das politische hin-
ausgehen, wie dies namentlich von einigen der Herren Redner vor mir schon
angedeutet ist. Ich glaube, wir werden alle dem Herrn Abgcordneten
für Neustettin Recht geben müssen, wenn er uns für das allgemeine
gleiche, directe Wahlrecht die allgemeine Wehrpflicht als ein Cor-
relat ausgesührt hat. Indessen dasselbe darauf allein zu gründen,
das heißt denn doch die wahre tiefere Bedeutung der Sache verkennen.
Wir haben ee hier nicht mit einer politlschen Frage alleln zu thun,
dies hervorzuheben habe ich mir zur besonderen Pflicht gemacht, sondern
mit elner gesellschaftlichen im allereminentesten Sinne. Gewiß wird
man denen, die bel den Wahlen auf den Census recurriren und die das
Gewicht der staatlichen Interessen allein darauf redurirt wissen wollen, in
Folge dessen Bemessung des Wahlrechts, immer mit Recht entgegen setzen
können: die höchste Steuer, die der Bürger dem Staate entrichtet,
die Blutsteuer, trifst die Klassen, die im Census niedriger stehen,
welt mehr als die oberen Schichten, und so wird man alle Einwände
hanz bestimmt mit der allgemeinen Wehrpflicht schlagen können, die von dieser
Seite gegen das allgemeine gleiche directe Wahlrecht erhoben werden. Aber
ich meine, das Princip, in welchem das allgemeine gleiche Wahlrecht wurzelt,
ist ein tieseres, ein gesellschaftliches, und zwar kein anderes als das Princip
der freien Arbeit. Seitdem das durchgedrungen ist in der Geschichte, seit-
dem die freie Arbeit, die Erwerbsthätigkeit nicht mehr als ein Element an-
gesehen wird, was den Arbeiter ausschließt von höheren menschlichen und
dürgerlichen Bestrebungen, vom Bollwort in Gemeinde und Staat, mußte
nothwendig die Entwicklung auf die Bahn des allgemeinen gleichen Wahl-
rechts drängen, und was auch, meine Herren, die Ubrigen geehrten Reduer
für Bedenken dagegen vorgebracht haben, ich glaube ein Gegenbedenken, wenn
man wieder davon abweichen wollte, schlägt sie alle. Die vollständige
% St. Ber. S. 433.