Artikel 22. Lasker. 77
die Abhängigkeit der gesammten Presse, in wolche sie dadurch ge-
räth, daß Sie dieselbr dem guten oder schlechten Willen des Staatsanwalts
oder seines Chefs Preis geben. Ju Staaten, in welchen die Privatanklage
gestattet ist, darf die Regierung sich frei entscheiden, ob bei einzelnen Ver-
gehen sie als Versolgerin eintreten oder ob sie ihrerseits von der Verfolgung
abstehen soll. Aber diese Wahl setzt die Möglichkeit der Privatanklage vor-
aus. Wo dagegen der Staatsanwalt allein zur Anklage berufen und die
Verfolgung aller Vergehen ihm zur öfsentlichen Pflicht gemacht ist, da ist
ce ungestattet und ein gefährliches Wagniß, ihn zu binden an Weisungen
seines Vorgesetzten, ob er verfolgen soll oder nicht. Ich habe mit inniger
Befriedigung aus dem Munde eines conservativen Abgeordneten ans
Hannover die Versicherung gehört, (Hört, hört! links) daß, während
seines Justizministeriums, er nur ein einziges Mal an eigen
Staatsanwalt die Rückfrage gerichtet habe, ob nicht in dieser An-
gelegenheit eine Verfolgung einzuleiten wäre, und als ihm der Staats-
anwalt erwidert, daß seiner Ansicht nach kein Grund zur Verfolgung
vorliege, wurde die Sache als erledigt ad acta geschrieben. Meine
Herren, das war Conservatismus in Hannover. Bei uns dagegen —
das wird une ja offen gesagt und ich dringe also nicht in die Geheimnisse
der Regierung ein — bei uns soll der Justizminister in Verbin-
dung mit dem Minister des Innern das Amt üÜbernehmen die
Staatsanwälte zu dirigiren bald zu milderen, bald zu strenge-
ren Maßregeln. Was von der freiwilligen Milde der Behörde zu
halten ist, haben wir erfahren. Man bleibt milde und höflich,
so lange der Strom günstig ist, und zum ersten Mal wenn ein
unbequemer Widerstand geleistet wird, sällt die schwer angenom
mene Haltung der Höflichkeit ab und es dringt der ärgerliche
Ton durch, welcher weit mehr Schaden anrichtet, als Milde
vorher genutzt hat. (Oh, ohl rechts.) In der milden Prazis der
Regierung dürfen Sie nicht den geringsten Ersatz für den Mangel des
gesetzlichen Schutzes suchen. Ich meine umgekehrt, daß das vorbehaltene Er-
messen dem Uebel ein größeres hinzusügt. Und wie soll sich die Stel.
lung der Presse in den verschiedenen Staagten herausbilden?
Meine Herren, Sie haben bei Artikel 4 den Grundsatz anerkannt, daß es
gut sei, für ganz Deutschland ein gemeinsamcs Strafgesetz zu schoffen, daß
es von größtem Nachtheil, wenn in dem einen Land gestattet, was in dem
andern Lande verboten ist. Wenn Sie den Schutz der Presse auf die milde
Praxis anweisen, dann werden Sie selbst herbeiführen, daß die Berichte aus
dem Reichstage in verschiedenen Staaten verschieden behandelt werden, wenn
nicht auch hier das viel schlimmere Uebel eintreten soll, daß der Preußische
Justizminister eine Einwirkung auf die Ministerien der Bundesstaaten aus-
üÜbt und so eine Gleichheit der Behandlung herstellt. Sonst wird in Preußen
eine Rede unterdrückt, welche im Nachbarlande gestattet ist und welche zu