Art. 2. Grundrechte. Dr. Reichensperger. 987
Dr. Reichensperger (fortf.): Ah! das ist etwas Anderes, dann bitte
ich um Verzeihnng. Herr von Stauffenberg hat sein abweisendes Votum
dadurch zu motiviren gesucht, daß er die Befürchtung aussprach, in andere
Staaten würde der konfessionelle Streit getragen; weit entfernt eine Be-
ruhigung hervorzubringen, würde das gerade Gegentheil eintreten; namentlich
glaubt das der Herr Redner von seinem engeren Vaterlande sagen zu sollen.
Ich begreise das sehr gut, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil der
Herr Redner wahrscheinlich bis jetzt noch nicht in der Lage gewesen ist, die
Verhältnisse in Preußen etwas näher anzusehen. Wenn er das thun wollte,
so würden, davon bin ich überzengt, die meisten der Bedenken, welche er hier
erhoben hat, von selbst schwinden; ich will nur einige dieser Bedenken etwas
näher ins Auge fassen. Er hat z. B. geglaubt, daß ein Streit entstehen
würde über die sogenannten gemischten Angelegenheiten was man auch wohl
das jus eirca dacmn nennt. Seit der Zeit, in welcher der § 15 in
Preußen publizirt ist, ist dieser Streit so zu sagen verschwunden, während er
vorher ein wahrhaft brennender gewesen ist. Ich bin überzeugt, daß bei
gutem Willen auf beiden Seiten, auf Seiten der Staatoregierung und auf
Seiten der Repräsentanten der Kirche, alle die Nebel, alle die Schreckbilder,
die der Herr Abgeordnete sich zur Zeit noch vorbält, schwinden werden. That-
sächlich in Wirklichkeit sind sie in Preußen geschwunden. Die Streitigkeiten
über innere kirchliche Verhältnisse, über die Abtheilungen und Grenzberichti-
gungen zwischen Kirche und Staat sind bei uns zu Lande meist in durchaus
beruhigender und befriedigender Weise abgemacht worden. Man hat seitens
der kirchlichen Behörden Manches nachgegeben, was man nach § 15
wohl hätte in Anspruch nehmen können. Wenn es z. B. in § 15 heißt,
daß die Kirche selbstständsg ihre inneren Angelegenheiten verwalte, so liegt
doch — das kaun man mit allem Zug sagen — die Garantie der freien
Bischofswahl auch in diesem § 15; man hat aber von kirchlicher Seite
darauf rerzichtet; man wählt nur persenn- gratus, man setzt sich kirchlicher-
seits mit der Regierung ins Vernehmen, und bis jetzt sind alle diese Wahlen
noch zur beiderseitigen Zufriedenheit ausgefallen. Ich glaube, dies ist schon
ein Rardinalpunkt, welchen der Herr Redner füglich hätte ins Auge fassen
können. Sodann schreckt der Herr Redner auch davor zurück, daß das
baierische plucetum regium gefährdet werde. Ich muß gestehen, als ich das
gehört habe, ist mir die Aeußerung des Herrn von Treitschke in Bezug auf
die Folter eingefallen. Ich glaube, das placetum regium ist innerlich, wenn
es auch äußerlich noch existirt, ebenso veraltet wie die Folter, und ich bin
überzeugt, daß in Preußen die Staatsregierung niemals bedauert hat das
placetum rezium aufgegeben zu haben; dasselbe ist, wohlgemerkt, nicht auf-
gegeben worden in Folge der Verfassung sondern Dank der Großherzigkeit
des Königs Friedrich Wilhelm IV. Weder durch Einschüchterung noch in
Folge eines Druckes irgend einer parlamentarischen Versammlung, hat dieser
König darauf verzichtet, und das katholische Volk weiß demselben noch bis