Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Miquel. 1051 
Widerspruch gefaßt — je weniger allein entscheidend die altpreußische Tra- 
dition ist. Ja, meine Herren, Preußen ist und mußte werden, und ich 
sage Gott Dank, daß es so geworden ist, sonst hätte es seine großen Auf- 
gaben nicht lösen können — ein starker centralisirter Staat und der Staat 
hat natürlich eingewirkt auf das ganze Fühlen und Denken der Bevölkerung. — 
Wir, die wir aus kleinen Staaten kommen und daher unsere Anschauungen 
noch in vielen Beziehungen haben, haben viel mehr Neigung für das Be- 
sondere, viel mehr Abneigung gegen das ausschließliche Centralisiren, als die 
Juristen in Preußen. So ist mir das Gefühl entgegengetreten und ich 
glaube daher: je mehr die gesammte Deutsche Volkskraft und die gesammte 
Deutsche wissenschaftliche Befähigung, je mehr die Traditionen aus Sachsen 
und den übrigen kleinen Ländern mitwirken, um so geringer ist auch die 
Gefahr der Centralisation und des Nirellirens, des übermäßigen Verallge- 
meinerns hier im Reichstage. Ich glaube aber gar nicht an die Gefahr. 
Ich bin fest überzeugt, daß wenn die Gefahr vorhanden wäre, wenn wir 
in die Richtung des französischen Einheitsstaates kämen, was allen Deutschen 
Traditionen und der Gesinnung des Deutschen Volkes röllig zuwider ist, 
— wenn diese Gefahr wirklich vorhauden wäre, so kann sie gewiß nicht abge- 
wendet werden durch künstliche Mittel, nicht dadurch, daß formell hier für 
einen Augenblick die Kompetenz des Reichstags beschränkt wird! Ist die 
Gefahr da, so liegt sie in der Beschaffenheit des Volkes selber und dann ist 
sie überhaupt nicht abzuwenden; dann müssen wir uns einfach unterwerfen. — 
Der zweite Theil meines Antrages betrifft die Ausdehnung der Kompetenz 
des Bundes auf die Gerichtsorganisation. Wir haben die Civilordnungs= 
Prozeßgebung jetzt schon in der Kompetenz des Bundes. Ich glanbe, es 
kann gar nicht zweifelhaft sein, daß es unmöglich ist ein Gesetz für den 
Civilprozeß oder Kriminalprozeß zu emaniren ohne zugleich in die Gestal- 
tung derienigen Behörden einzugreifen, welche fungiren sollen. Jeder Civil- 
Frozeß muß nothwendig in die bestehende Gerichtsorganisation eingreifen. 
Die Gerichte sind ja aber nichts weiter als die Handhaben, mit denen die 
Vorschriften des Civilprozesses zur Anwendung gebracht werden. Bei der 
Berathung der Girilprozeßerdnung muß man klar darüber sein. inwiefern 
das System der Einzelrichter oder der Kollegialrichter, inwiefern die 
zweite oder dritte Bernfung zulässig ist oder nicht, welche Behörden dafür 
zu schaffen sind. Ich behaupte, die niedergesetzte Civilprozebordnungs-Kom- 
mission kann ihre Aufgabe nicht lösen, wenn sie nicht ganz klar über die 
Organisation der Gerichtshöfe ist, welche auf Grund der neuen Cidvilprozeß= 
ordnung arbeiten werden. Ist das aber richtig, so muß man auch die Ge- 
richtsorganisation in die Kompetenz des Bundes mit hineinbringen. Zwar 
könnte man möglicherweise sagen (und vielleicht hat man es gesagt): was 
naturgemäß und nothwendig in Bezug auf die Gerichtsorganisation durch 
die Civilprozeßordnung an Aenderungen hervorgerufen wird, gehört selbst- 
verständlich auch schon zur Komxetenz der Verfassung des Norddeutschen
	        
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