Wagener. 1055
ist. Deshalb, meine Herren, bin ich der Meinung, daß man allerdings da-
rüber zweifelhaft sein kann, ob durch die veränderte Fassung, die damals
auf den Antrag des Herrn Lasker in die Verfassungs-Urkunde hineingebracht
ist, die gewöhnlichen Anträge auf Verfassungsänderung auch fortan zur
Kompetenz des Reichstages gehören. Daß aber formulirte Gesetzent-
würfe, die sich außerhalb der Kompetenz des Bundes bewegen,
nicht zu der Kompetenz des Reichstages gehören, meine Herren, dazu brauchen
Sie ja bloß ganz einfach den Artikel 23 noch einmal durchzulesen. Denn
wenn es auch richtig ist, was Herr Migquel gesagt hat: „wo das Gesetz
nicht unterscheidet, soll der Interpret auch nicht unterscheiden," so ist es doch
viel unzweifelhafter, daß man keinesfalls einen Verfassungsartikel dahin
interpretiren darf, daß das, worauf hier ein wesentlicher Nachdruck
gelegt ist, hier gar nicht zu seinem Rechte kommt. Es heißt ausdrücklich:
der Reichstag hat das Recht, innerhalb der Kompetenz des Bundes
Gesetze vorzuschlagen. Wenn Sie daraus ohne Weiteres, ohne irgend welche
Begründung und ohne jede Rechtfertigung deduziren wollen: das steht zwar
in der Verfassung, aber da wir Verfassungsänderungen machen können,
können wir uns auch ohne Weiteres über diese Bestimmungen des Artikels
23 hinfortsetzen, — so ist das allerdings eine sehr kühne Interpretation,
meine Herren, aber ich glanbe nicht, daß sie mit den gewöhnlichen Vor-
schriften von Interpretation nach dem allergewöhnlichsten Sinne und nach
irgend einer Richtung gerechtfertigt werden kann. Ich bin deshalb der Mei-
nung — und das ist es ja, worauf schon vor einigen Tagen von unfrer
Seite der Hauptnachdruck gelegt ist — daß diese Bestimmung des Ar-
tikels 23 den sehr guten Sinn hat: festsetzen zu wollen, daß eben Anträge,
und namentlich in Gesetzesform formulirte Anträge auf Veränderung der
Kompxetenz des Fundes niemals von diesem Hause ausgehen sollen, sondern
daß sie nur von diesem Tische (auf den Tisch der Bundesberollmächtigten
deutend) gebracht werden dürfen, und zwar ist es sehr zweifelhaft, — ich
habe kein Recht, darüber zu dijndiziren — ob innerhalb der verbündeten
Regierungen (wie das selbst demokratische Schriftsteller ausgesprochen haben)
in diesem Falle nicht bloß Einstimmigkeit der Regierungen nothwendig sein
würde sondern auch wiederholte Zustimmung der betreffenden Landesver-
tretungen. Denn es könnte uns ja einmal einfallen, wenn Alles erlaubt ist,
unsere Kompetenz zu erweitern, den Beschluß zu fassen: fortan werden wir
in diesem Hause das Budget des Preußischen Staates feststellen. Glauben
Sie, meine Herren, daß wir das könnten? Und wenn wir das nicht dürfen,
worin liegt der Unterschied? Dürfen wir bloß die Regierungen vergewalti-
gen, oder sind wir auch befugt die Landesrertretungen zu vergewaltigen?
Alle diese Dinge haben zwei Seiten und ich hoffe nicht, daß mir von jener
Seite (links) der Einwurf gemacht werden wird, daß Verfassungsänderungen
und Komgetenzerweiterungen nothwendig identisch sind; denn, meine Herren,
die Kompetenz des Bundes ist so weit, und die Verfassungsbestimmurgen