Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

1094 1369. Art. 4 Ziff. 13. 
Volksbewußtsein wurzelt, schaffen, wenn wir in die kleinen Kreise der Rechts- 
bildung eingreifen, wie es ja gerade vorzugsweise die Kreise gewesen sind, 
durch welche das Deutsche Recht geschaffen worden ist. Dann üben wir eine 
Tyrannei aus, die so unerträglich auf die kleinen Rechtskreise wirken kann, 
daß wir dadurch das Recht zur Erstarrung bringen. Wir können das Recht 
nicht machen, sondern das Recht muß in dem Volke wachsen, wir wollen 
das Recht, das aus dem Volke hervorwächst, in die juristische Form bringen, 
aber wir können uns nicht einbilden, daß wir ein Gesetz machen können, wo- 
durch gewissermaßen dem Rechtsbewußtsein und dem Rechtssinn des Volkes 
entgegengetreten wird. (Ruf: Sehr wahr!) Ich erlaube mir darauf hinzu- 
weisen, daß es ja die Aufgabe der neuen Gesetzgebung ist, — und was mit 
meinen schwachen Kräften in meinem engern Vaterlande ich mir immer mit 
zur Aufgabe gestellt habe — das Juristenrecht und das Volksrecht zu ver- 
söhnen, aber wir können durch das Juristenrecht nicht ein Volksrecht schaffen, 
das werden wir nimmer vermögen bei aller Weisheit, die ich hier in dem 
Reichstag versammelt sehe und vor der ich im Uebrigen mich demüthig beuge. 
(Heiterkeit) Wenn die Rede von Frankreich gewesen ist — meine Herren, 
ich will sie mit keinen rechtsgeschichtlichen Ausführungen behelligen — so 
sind das ganz andere Verhältnisse gewesen, geboten durch die staatliche, durch 
die kulturgeschichtliche Entwickelung des Volkes. Nur auf ein Moment er- 
laube ich mir aufmerksam zu machen, weil dies vorzugsweise der Abgeordnete 
Migquel in seinen Ausführungen betonte. Er sagte nämlich daß das gemeine 
Recht ja vorzugsweise dasjenige gewesen sei, was gewissermaßen nun zu einer 
Einheit herausgewachsen ist. Ja, meine Herren, wer hat denn das gemeine 
Recht geschaffen!? Das war vorzugsweise das Rechtsbewußtsein, die Volks- 
rechtsgewohnheit, aus der es hervorgegangen ist. Die war es, die es mit 
dem Römischen Recht amalgamirt und dann in der Gestalt uns überliefert 
hat, in der wir es vor uns sehen. Und gehen Sie doch durch die Gauen 
Deutschlands, wo Deutsches Recht sich entwickelt hat, ob Sie eine Uniformi- 
tät sehen werden, daß das ganze Volksrecht sich gewissenmaßen in ein und 
derselben Schablone ausdrückt? Meine Herren, es ist wiederholt geltend ge- 
macht worden, daß es sich hier nicht um die Schaffung eines Civilkodexr handle. 
Ich gebe das bereitwillig eben mit zu, daß das unmöglich sein wird, aber 
— und das ist vorzugsweise der Punkt, der mich darin befestigt hat gegen 
den Antrag zu stimmen — es ist uns in Aussicht gestellt worden, daß nach 
und nach — wie Herr Miguel sich ausdrückte — „etwa vielleicht in 10 bis 
0 Jahren"“ ein allgemeines bürgerliches Recht für ganz Deutschland geschaffen 
werden könne. Meine Herren, ich halte das geradezu für eine Unmöglichkeit, 
und wenn dies in Aussicht genommen worden ist, so werde ich schon deshalb 
gegen den Antrag stimmen. Ich frage — und ich will nicht auf die Defi- 
nition des Familienrechts von dem Abgeordneten Friedenthal eingehen, sie 
war mir völlig neu — ich frage Sie, ob Sie es für möglich halten das 
Familienrecht, das Erbrecht, die agrarischen Bestinmmungen und Verhältnisse
	        
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