Lasker. 1103
reif sei, wir nach Hause gehen, ohne sie auszutragen, sondern zusehen, was
daraus werden wird. Das nun war der Rath des Herrn Abgeordneten
Windthorst: wir sollen über die bedeutendste Bestimmung der Bundesver-
fassung im Dunkeln nach Hause gehen und unsere Beschlüsse darüber
suspendiren. Ich aber stelle jeden Zweifel und jede Dunkelheit in Ab-
rede. Als ich im konstituirenden Reichstage den Antrag, den Verfassungs-
artikel so zu fassen, wie er wirklich gefaßt worden ist, als Antragsteller
rechtfertigte, sagte ich zu seiner Begründung: — ich brauche die Worte nicht
mehr zu verlesen, der Herr Abgeordnete Wagener hat mir den Dienst abge-
nommen — zwei Gründe bestimmten mich dazu: einmal werde bezweifelt,
ob der Reichstag die Initiative habe, ob diese nicht lediglich bei dem
Bundesrath sich besinde, wenn es sich um irgend eine Verfassungsänderung
handle. Diesen Zweifel hielt ich damals schon für geringfügig; ich sehe
mich sedoch heute noch darin getäuscht; denn die Herren Abgeordneten Windt-
horst und Wagener haben heute wiederum die fast unmöglich erscheinende
Theorie aufgestellt, wonach der Bundesrath in Bezug auf die Gesetzgebung
zu Etwas kompetent sei, worin der Reichstag nicht kompetent ist. Ich habe
diese Meinung, während wir die Verfassung beriethen, als gänzlich unauf-
stellbar bezeichnet, die Herren Abgeordneten Wagener und Windthorst haben
sie heute vertreten; aus welchem Grunde und zu welchem Zwecke, ist mir
zweifelhaft geblieben. Als einen wichtigen Zweifel hob ich in der Dis-
kussion über den jetzigen Artikel 78 der Bundesverfassung hervor, ob die
Kompetenz des Bundes durch ein Bundesgesetz weiter ausgedehnt werden
dürfe; ich habe den Zweifel anregen gehört, weil im Artikel 23 ausdrücklich
gesagt sei: der Reichstag hat das Recht, Gesetze vorzuschlagen „innerhalb
der Kompetenz des Bundes.“ Dieses Bedenken wollte ich beseitigen
und klar stellen, daß der Reichstag zur Erweiterung der Kompetenz die Ini-
tiative habe. Hierüber wurde verhandelt. Der Herr Abgeordnete Kratz
meinte, er wünsche, daß der Reichstag nur mit Zweidrittel-Majorität diese
Initiative ausübe; denn, wenn der Bund seine eigene Kompetenz aus-
dehnen dürfe, so könne derselbe Alles in seine Gesetzgebung hineinziehen,
und es könnten hierdurch möglicherweise die Preußischen Verfassungercchte
geschädigt werden; dagegen wolle er zum Schutze des Preußischen Verfas-
sungsrechts mindestens eine Zweidrittel-Majorität des Reichstages für jede
Kompetenzerweiterung fordern. Ihm assistirte der Abgeordnete Windthorst:
„Gerade die Unsicherheit in der Kompetenz der Reichsgewalt und der Reichs-
gesetzgebung gegenüber der Gewalt der Einzelstaaten und der Gesetzgebung
der Einzelstaaten, die dem Reichstage eingeräumte Initiative macht es
meines Erachtens durchaus erforderlich, daß es stets klar und bestimmt zum
Bewußtsein kommt, wenn eine Abänderung der Verfassung beschlossen wird.
Sehr häufig werden in den einzelnen Gesetzvorlagen Bestimmmgen ent-
halten sein, von denen man nicht gleich weiß, ob sie Aenderungen der Ver-
fassung enthalten oder nicht, und in solchen Fällen ist es wichtig, durch die