Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

1146 1869. Art. 17. Verantwortliche Bundesministerien. 
dem Bestehen der Bundesverfassung, und ich meine, wir müssen an ihren 
weiteren Ausbau denken. Meine Herren, ich möchte hier mit ganz wenigen 
Worten einen mir sehr wichtigen Punkt berühren. Wenn der Herr Bundes- 
kanzler zuweilen damit nicht zufrieden gewesen ist hier im Reichstage auf 
Widerspruch zu stoßen, so glaube ich, muß er sich gegenwärtig halten, daß 
ein Reichstag, den er geschaffen hat, der aber unbedingt seinem Winke foldte, 
der ja sagte, wenn der Herr Bundeskanzler es verlangte — daß ein solcher 
Reichstag ihm nichts helfen würde. Er würde herabsinken (dies sage ich 
mit Absicht) auf das Niveau des Corps législatif in Paris. Ein solcher 
Reichstag würde den Herrn Bundeskanzler weder nach Innen noch nach 
Außen stützen. Ein solcher Reichstag wäre ich möchte fast sagen ein 
unnützer Lurus! Nur ein Reichstag, der in der großen Mehrzahl seiner 
Mitglieder aus unabhängigen Personen zusammengesetzt ist, welche auch da, 
we sie in einen gewissen Widerspruch mit dem Herrn Bundeskanzler tretien 
müssen, ihre Meinung offen und ehrlich sagen um vertheidigen, kann in 
schwierigen Fällen auch die Stütze bieten, welcher ja jeder Staat und der 
Norddeutsche Bund und der Herr Bundeskanzler vor Allem bedarf. Nur 
ein solcher Reichstag wird als der wirkliche Repräsentant der Nation ange- 
sehen werden. Nur ein solcher Reichstag, hinter welchem die Nation steht, 
kann dem Auslande zeigen, daß die Nation für das einsteht, was der Reichs- 
lag mit dem Bundespräsidium gemeinschaftlich will und daß er dies zu ver- 
theidigen bereit ist. Meine Herren, ich habe von einem Staatsmanne, wel- 
cher uns Allen sehr nahe steht, im Jahre 1859 einen Ausspruch gehört, den 
ich mir wohl gemerkt habe, weil er schlagend und einleuchtend ist. Er lautet 
im Wesentlichen dahin: daß damals Preußen (und von Preußen konnte ja 
in jenem Stadium nur die Rede sein) von den kleinen Deutschen Regierungen 
wcnig oder nichts zu erwarten habe. Es lag darin kein Vorwurf gegen die Re- 
Jierungen, denn gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, daß naturgemäß die 
Regierung eines kleinen Staates nach der Beibehaltung ihrer Selbstständig- 
leit strebt — und (ich setze jetzt hinzu) auch daneben die Selbftständigkeit, 
welche ihr theilweise genommen ist, wieder zu erringen sucht. Jener Staats- 
mann sagte: die Politik Preußens, welche sich auf die Regierungen der 
kleinen Staaten stützt, ist keine richtige. Preußen war damals mehr oder 
weniger isolirt und der Bund ist jetzt in einer ähnlichen Lage, wenn auch 
mit ciner größeren Kraft gesegnet. Der Bund hat keinen andern Allürten 
alo die Bevolkerungen. Die Bevölkerungen sind es, welche dafür Garantie 
leisten, daß die eine oder die audere der kleinen Regierungen die Gclegenheit 
nicht benutzt von dem Wege abzuweichen. Die Bevölkerungen sind es, welche 
uns die Sicherheit geben und welche mit uns zusammenstehen müssen in 
schwierigen zeiten, welche wir ja möglicherweise selbst noch erleben werden. 
Darum halte ich diesen Ausspruch hoch und deshalb wünsche ich, daß die 
Fortbildung des Organismus des Norddeutschen Bundes ohne Ueberstürzung,
	        
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