Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

1188 1869. Art. 17. Verantwortliche Bundesministerien. 
Bundeskanzler allein diejenigen Verrichtungen übernehmen soll, welche die 
Verfassung der Exekutive zuweist, oder ob diese durch ein Ministerium aus- 
geübt werden sollen. Auf diesen Satz bezüglich war lediglich die Meinung 
des Herrn Bundeskanzlers, daß er überhaupt Ministerkollegien nicht mag, 
— die Meimung, für die er eingetreten ist, daß jeder bedeutende Staat von 
Einem Manne und nicht von einem Kollegium der Minister regiert werden 
dürfe. Das ist der einzige Unterschied und diesen Unterschied müssen wir 
klar konstatiren. Lassen wir also alle Nebengründe bei Seite. Schwärzen 
Sie unsern Antrag nicht an, als ob er die großen Jundamente unserer Ver- 
fassung umstoßen, als ob er den kleinen Staaten die berechtigte Exekutive 
entziehen wollte, als ob er überhaupt zu Konsequenzen führe, die sich noch 
gar nicht übersehen lassen. Die Frage ist eine ganz klare: sollen die Funk- 
tionen der Exekutive lediglich durch das Amt eines Mannes gedeckt werden 
oder durch die Verantwortlichkeit mehrerer Männer? Nun, meine Herren 
da wird man uns nicht tadeln, daß, so hoch wir die Meinung des Herrn 
Bundeskanzler veranschlagen, wir doch Fragen von so großem Kulturumfange 
nur in der Praxis lösen, welche wir die Staaten von ganz Europa, die 
allergebildetsten Staaten befolgen sehen, und in allen diesen Staaten finde 
ich nirgends eine Regierung, die lediglich unter Verantwortlichkeit Eines 
Maunes geleitet würde Die aufgeworfene Analogie zwischen diesem einen 
Manne und den Abgcordneten im Reichstag findet nicht entfernt zu Gunsten 
dieser Idee statt, denn wir sind deswegen eine Vielheit, damit unsere An- 
sichten gegen einander sich berichtigen, und unsere Beschlüsse haben eben die 
Bedeutung, daß so gut wir es konnen, die Meinung aller Derjenigen, welche 
hier versammelt sind, nachdem sie wechselseitig sich belehrt und durch die Dis- 
kussion sich geklärt haben, in dem Beschlusse ausgesprochen werde. Dasselbe 
ist nothwendig überall, wo es sich um die Geschicke der Staaten handelt. 
Jeder Mensch ohne Unterschied und namentlich jeder groß angelegte Mensch 
hat seine indiriduellen Gigenschaften, die zurückgehalten werden müssen, wenn 
sie nicht unter Umständen zum Schaden des Staates ausschlagen sollen, 
gerade so wie er andere Eigenschaften hat, die geeignet sind das Wohl des 
Vaterlandes zu fördern, und num ist es eben Sache der kollegialischen Be- 
rathung und Sache der getheilten Thätigkeit, daß die schädlichen Eigen- 
schaften paralysirt, die nützlichen dagegen unterstützt werden. Wenn der 
Herr Bundeskanzler seine Ansicht ausgesprochen hat, daß er durch das 
Kollegium sich gebunden fühle, daß er Erfahrungen gemacht habe, nach wel- 
chen die Regierung im Verein mit sieben anderen Männem nicht gut ge- 
führt werden könne, so fürchte ich den Zusammenhang dieser Klage mit dem 
spezisisch Preußischen Mißstande, daß dort ein solidarisches Ministerium noch 
nicht vorhanden ist, während sonst in allen konstitutionell regierten Staaten 
allerdings die erste Bedingung darin besteht, daß diejenigen Männer, die 
sich vereinigen, um die Regierung zu führen, auch einer Meinung und 
solidarisch unter einander verbunden seien. Ist dieser Fehler in Preußen ror-
	        
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