Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

1224 1868. Art. 32. Diäten. 
listen beanspruchen, eine ihnen rechtlich gewährte Gleichheit, in Bezug auf 
welche sie behaupten, daß ihnen gewisse thatsächliche Unterlagen fehlen, durch 
Staatshilfe hergestellt zu sehen. Das Verlangen der Diäten gegenüber dem 
allgemeinen direkten Wahlrecht ist nichts weiter als ein sozialistischer An- 
spruch, um die unzweifelhaft gewährte Rechtsgleichheit thatsächlich durch 
Staatsleistungen zu ermöglichen. — Meine Herren, das Kopfschütteln hilft 
nichts. Sie werden die Erfahrung machen, solche Dinge vollziehen sich ganz 
konsequent. — Wenn ich es als unzweifelhaftes Postulat des allgemeinen Wahl- 
rechts anerkenne, daß die Gewählten Diäten bekommen müssen, meine Herren, 
der nächste Schritt, der sich in allen den Ländern vollzogen hat, wo man 
dies prinzipiell acceptirt hat, ist der: daß die Wähler Tagelohn bekommen. 
(Ganz richtig.) Derselbe Grund, daß die Wähler durch das Wählen in 
ihren Arbeiten behindert werden, trifft hier zu:; es giebt Wähler, die nur 
wählen und wählen können, wenn sie Tagelohn bekommen. Meine Herren, 
stellen Sie das Unter-Amendement: „Der Abgeordnete bekommt Diäten und 
der Wähler bekommt Tagelohn" — dann werden Sie konsequent und systema- 
tisch einen richtigen sozialistischen Grundsatz adoptirt haben. Ich komme 
weiter darauf zurück, weil der Abgeordnete Waldeck aus der früheren Debatte 
mich ausdrücklich citirt hat, — er hat gesagt, ich hätte in der früheren Ver- 
handlung keinen anderen Grund für die Diätenlosigkeit geltend gemacht, ale 
daß das Parlament die Spitze der Selbstregierung wäre, und daß deshalb, 
weil alle Selbstregierung auf unentgeltlichen Ehrendiensten beruhe, Diejenigen, 
welche Leistungen im Parlamente zu üben haben, in hervorragender Weise 
an dieser unentgeltlichen Funktion Theil nehmen müssen. Nun, meine Herren, 
ich könnte mich Ihnen gegenüber einfach darauf beschränken, das Buch eines 
Mannes zu citiren, den Sie sonst wohl gerade von Ihrem Standpunkte als 
eine Autorität anerkannt haben, — es ist der Professor Gneist. Er hat 
wenn irgend Etwas mit der überzeugendsten logischen und geschichtlichen 
Gründen nachgewiesen, daß Alles, was man in England unter Freiheit und 
Selbstregierung versteht, nichts Anderes ist als der unentgcltliche Ehrendienst 
in Gemeinde und Kommune, und daß das englische Parlament in der Zu- 
sammensetzung und Vereinigung aller dersenigen Elemente, Personen und 
Kräfte besteht, die im unentgeltlichen Ehrendienst zu Hause bei sich das 
Land regieren, (Schr richtig!) und daß, wenn man eine solche Versammlung 
nicht zu schaffen versteht, man nicht über das hinauskommen wird, was man 
Schein-Constitutionalismus nennt. Der Schein-Constitutionalismus ist nichts 
anders, als eine Versammlung zum Regieren zu bestimmen und für fähig 
zu halten, die das Regieren weder gelernt hat, noch das Regieren zu Hause 
treibt, noch überhaupt Lust hat zu regieren, — die nichts weiter will als Wählen, 
Reden und Opponiren. (Bravol) Das ist der Unterschied zwischen Schein- 
Constitutionalismus und englischem Parlament und Alles wird vergeblich sein, 
ein geachtetes Parlament herzustellen, wenn Sie nicht auf den Gedanken ein- 
gehen, den Bau eines solchen Parlaments von unten zu beginnen und zuerst
	        
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