Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Wagener. 1225 
in den Gemeinden, Kommunen und Kreisen die auf ehrenamtlichen Verrichtun- 
gen bernhende Selbst -Regierung herzustellen und aus diesen Elementen 
eine auf gleicher Basis beruhende Volksvertretung auszubilden. Ein neuerer 
sehr liberaler junger Mann (Heiterkeit) schreibt über diese Diätenfrage wört- 
lich Folgendes: „Glanbt man, daß das Wegfallen der Diäten die Abgeord- 
netenbänke veröden lassen würde, so hat man nichts gethan als unser Volk 
der Freiheit für unfähig erklärt. Das nothwendige Kennzeichen der verdien- 
ten Freiheit ist, daß ein Volk in den unteren wie in den centralen Kreisen 
des Staatslebens die freiwillige Kraft aufbringt, welche sich der Staatsarbeit 
um der Ehre willen ohne Entgelt zur Verfügung stellt.“ (Hört! Bravol) 
Das, meine Herren, ist der allein richtige und maßgebende Grundsatz. — (Auf 
geschehene Anfrage erklärt der Redner, daß der Verfasser jener Worte Con- 
stautin Rösler heiße, und daß das Werk, in welchem die citirte Erklärung 
steht, betitelt sei: Studien zur Preußischen Verfassung.) — Es ist auch that- 
sächlich völlig unrichtig, meine Herren, wenn der Herr Abgcordnete Waldeck 
behauptet hat, alle neueren Verfassungen hätten die Bestimmung der Diäten- 
zahlung. Die einzige neuere Verfassung, die eine Aehnlichkeit mit unserer in 
Anspruch nehmen kann, das ist die neuc italienische Verfassung, und ich 
glaube Herrn Waldeck versichern zu können, daß der Graf Cavour eben so 
ein einsichtiger Staatsmann war, um zu wissen, daß ein italienisches Parla- 
ment mit Diäten ungefähr gleichbedeutend gewesen sein würde mit einer Auf- 
lösung des italienischen Volks in einen Ameisen= oder Sandhaufen. (Richtigl) 
Nun, meine Herren, auf die englischen Antoritäten darf ich wohl gar nicht 
erst näher eingehen, denn es giebt eigentlich im euglischen Parlament bis her- 
unter oder wenn Sie wollen bis herauf zu dem radikalen Stuart Mill 
keinen Politiker von einigem Rufe, der nicht die Diätenlosigkeit im englischen 
Parlamente als cine ganz indisputable und sich von selbst verstehende Sache 
behandelte. Aber auch ein neuerer englischer Schriftsteller, der wiederum von 
einem Ihnen wahrscheinlich durchaus unverdächtigen liberalen Manne sehr 
empfohlen ist, der Englänger Bagehot schreibt über diese Frage, ihm würde 
nichts unangenehmer und fataler sein als eine parlamentarische Versamm- 
lung, wo nur der Geist repräsentirt sein sollte. Eine Parlaments-Versamm- 
lung soll die öffentliche Meinung repräsentiren, und die öffentliche Meinung 
in einein Volke würde — er spricht allerdings zunächst nur von England 
— viel mehr durch den Besitz, als durch den Geist bestimmt. (Sensation, 
Beifall und Widerspruch.) Meine Herren, ich kann da wiederum einen Aus- 
spruch desselben Professor Gneist anführen, der in dieser Richtung noch weiter 
geht, wie ich meinerseits mir getrauen würde. Professor Gneist behauptet 
nämlich in seinen neuesten Englischen Auseinandersetzungen, daß wir in 
Preußen überhaupt noch keine politischen Parteien hätten und daß Alles, 
was sich bis jetzt bei uns als politische Partei gebehrde und darzustellen ver- 
suchte, nichts wäre als ein Mißverständniß der gesellschaftlichen Gruppen, 
Klassen und Interessen, und daß wir erst dann überhaupt zu dem Gedanken
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.