Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

150 1870. Verträge. 
fassung ausdrücklich rorgeseben und als eine naturgemäße Entwickelung und 
CEutfaltung des Bundes unzweideutig und bestimmt der Bundesgesetzgebung 
überwiesen ist. Meine Herren, die Deduktion, es sei zur Erledigung der 
Verlagen ein besonderer Reichstag erforderlich. führt unausweichlich zu einem 
Konflikt mit dem Artikel 79 der Bundesrerfassung. Die Deduktien würde 
die Kompetenz auch eines gewöhnlichen Reichstages ausschließen, und doch ist 
in dem Artikel 79 klar und bestimmt vorgeschrieben, daß die Erweiterung 
des Bundes durch die Heranziehung der süddeutschen Staaten in Ansehung 
der Konstituirung des neuen Bundes nicht so zu behandeln sei, wie die Stif- 
tung des ersten Bundes, daß vielmehr zu der Aufnahme der süddeutschen 
Staaten in den Norddeutschen Bund ein in dem Wege der Bundesgesetz- 
gebung sich vollziehender legislativer Akt genügend sei. Nunmehr einen sel- 
chen legislativen Akt nicht für zureichend erklären, heißt nach meiner Ueber- 
zeugung, gegen eine der wichtigsten, einen besonderen Abschnitt der Bundes- 
verfassung bildende Vorschrift der bestehenden Verfassung ankämpfen, heißt 
die Gründe verleugnen, aus welchen diese wichtige Bestimmung nach reif- 
licher Ueberlegung und sorgfältiger Erwägung aller Umstände entstanden ist, 
— heißt aber auch, wie ich glaube, die Einigung von Deutschland einer un- 
gewissen Zukunft und unberechenbaren Eventualitäten preisgeben. 
Dr. Friedenthal (Neiße)): Meine Herren, wenn ich das Wort er- 
greife, so geschieht es namentlich deshalb, um vor Ihnen Zeugniß abzulegen 
von denjenigen Stimmungen, unter denen an mich die gegenwärtige Phase 
der deutschen Angelegenheiten herangetreten ist. Selbstverständlich rede ich 
dabei nicht von meiner Stimmung, sondern von der Stimmung des deutschen 
Volkes in Frankreich, unter dem ich mich in der letzten Zeit bewegte. Der 
Ausdruck „deutsches Volk in Frankreich" mag seltsam klingen, und doch ist 
er wahr, durchaus wahr. Jenes Arndt'sche Wort: „Alldeutschland in Frank- 
reich hinein!“ hat sich wahrhaft erfüllt; nicht nur unser Volk in Waffen 
weilt dort, nein, alle Berufsklassen aus allen Stämmen des deutschen Volkes 
sind dem natürlichen Drange gefolgt, haben sich dem Heere angeschlossen — 
und ich kann wohl sagen, daß, wenn man dort lebte, man das Gefühl hatte, 
daß das ganze deutsche Volk mit dem Heere ziehe, getrieben von dem Ge- 
fühle, daß dieser Kriegszug ein Kriegszug sei für die Bildung unseres deutschen 
Staates, daß das erste, oberste und hauptsächliche Ziel aller dieser Kämpfe 
Deutschlands Einigung zu Einem nationalen Gemeinwesen ist. Durchdrang 
aber dieses Gefühl alle Deutschen, die auf dem Kriegsschauplatze sich be- 
wegten, so war es natürlich, daß dort niemals ein Zweifel darüber obwal- 
tete, daß an den Sieg das Zustandekommen des deutschen Gemeinwesens sich 
knüpfen müsse, und aus diesem Gefühl heraus beurtheilten sich die Dinge 
allerdings ein wenig anders, als hier an dieser Stelle. Meine Herren, das 
ist eigenthumlich, daß, was das Auge Landschaften gegenüber wahrnimmt, 
?) St. B. S. 75 l. m.
	        
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