Generaldebatte. Friedenthal. 151
daß das sich auch in politischen Dingen wiederholt, nämlich, daß die Kon-
turen in ihrer vollen Schärfe und Größe hervortreten, wenn man sie von
einer gewissen Entfernung aus betrachtet, während, wenn man zu nahe steht,
schr leicht an Stelle jener größeren Betrachtungsweise die Neigung zum
Emgehen in die Einzelheiten dahin fortreißt, das Große über dem Kleinen
dergessen. Wenn ich dies auf die gegenwärtige Lage der Dinge anwende,
so muß ich bezeugen, daß, als die Entwicklung der deutschen Dinge den
Deutschen in Frankreich vor die Augen trat, vor allen Dingen das Eine
Allen als Gesetz erschien: es muß vor Abschluß des Krieges eine neue Basis
für daß Verhältniß zu Süddeutschland gewonnen werden, es darf nicht ge-
feilscht oder gemarktet werden, sondern das Ziel ist so groß und nothwendig,
daß man die Unebenheiten des Weges der uns weiter führt, vergessen muß,
se guöße Bedenken man auch hierbei hat. — Die erste Frage, meine Herren,
die ja hier in der Diskussion aufgetreten ist, gewiß die hauptsächlichste, die
entscheidende Vorfrage, war die, ob im gegenwärtigen Augenblicke die deutschen
Dunge auf dem Wege des Konstituirens oder des Kontrahirens, auf dem
Bege der Verfassungsgründung oder auf dem Wege der Verfassungsschließung
einen Schritt weiter gebracht werden sollen. Der Herr Vorredner von dieser
Seite des Hauses (links) hat mit großer Wärme für den Weg des Konsti-
turens plaidirt. Meine Herren, diese Frage ist aber vorher schon in der
Presse und in allen öffentlichen Kreisen behandelt worden, und nach dem
Eindruck, den ich davon gehabt habe, ist die Frage durch die öffentliche
Meimmg entschieden worden. Die Postulate, die die Herren von der Partei
des Herrn Vorredners von dieser Tribüne aufgestellt haben, alles bisher ge-
wonnene verfassungsmäßige Bundesrecht gewissermaßen ins Freie fallen zu
lassen und durch eine neue Konstituirung Deutschlands auf neuen konstitu-
tienellen Grundlagen zu konstituiren, diese Meinung hat keinen Anklang beim
deutschen Volke gefunden. Das deutsche Volk — und ich meine, darüber
kann kein Zweifel sein für denjenigen, der unbefangen die Dinge in den
letzzen Monaten beobachtet hat, — hat sich ganz entschieden und unzweideutig
dafür ausgesprochen, daß die Entwickelung der deutschen Dinge vor sich gehen
soll im Anschluß an das Norddeutsche Bundesstaatswesen. War das aber
de Fall, so war auch weiterhin nothwendig die Folge, daß der Anschluß im
Zege det Vertrags mit den süddeutschen Regicrungen geschehen mußte.
Neine Herren, ich kann in den Ausführungen des Herrn Vorredners, in
der Behauptung, daß nur der Druck einer Volksvertretung den Partikularis=
mus zu beugen im Stande gewesen wärc, doch nur den Weg vorgezeichnet
finden, daß man die deutschen Regicrungen, die deutschen Fürsten auf dem
Bege der Entwickelung einer solchen konstituirenden Versammlung gezwungen
bättr, ihren Widerstand gegen gewisse Zugeständnisse an die Staatseinheit
aufmgeben. So sehr ich von meinem Standpunkt aus wünschte, daß der
Widerstand gegen gewisse Zugeständnisse aufgegeben würde, so muß ich doch
mit derselben Entschiedenheit es aussprechen, daß ich das vorgeschlagene