196 Verträge 1870.
über beherrscht hat, in der ich mich mit dieser Vorlage beschäftigt habe.
Ja, ich weiß es so bestimmt wie der Herr Vorredner, daß wir die Aufgabe
hier haben sollten, die großen und gewaltigen Opfer, die Ströme von Blut,
die unser Volk in dem gerechten Kriege vergossen hat, hier zu rerwerthen
in einer Verfassung, wie sie so großer Opfer und so außerordentlicher Hin-
gebung würdig ist. (Braro.) Das soll der Maßstab sein, mit dem ich an
dieses Werk herantrete, und ich danke dem Herrn Vorredner, daß er ihn
mir dargeboten. Wenn wir, meine Freunde und ich, uns von vornherein
gefragt haben: Seid ihr denn berufen, das Werk, welches euch hier vorge-
legt wird, zum Abschluß zu bringen, — so siud es in der That nicht blos die
formellen Bedeuken der Kompetenz gewesen, die uns dabei beschäftigt haben.
Ich ergreife hier von vorneherein diese Gelegenheit, gegen den Abgeordneten
Windthorst zu erklären, daß wir diese Frage schon envogen hatten, ehe wir
in diese Verhandlung, also nicht leichtfertig in die Bewilligung von 100 Mil-
lionen Thalern eingetreten sind und daß wir uns nicht damit getröstet haben,
daß wir sagten: Wir geben eben nur den Thatsachen nach und fahren mit
dem Wagen; ob der Wagen nun zu Recht und wir ein Recht haben, in ihm
zu fahren oder nicht, das ist uns gleichgiltig. Nein, meine Herren, als wir
die Anleihe bewilligt haben, sind wir uns ganz klar gewesen, daß wir im
Geiste unserer Nation diese Bewilligung auesprachen, daß wir ein uns durch
die Noth übertragenes Recht dabei ansübten und eine Pflicht erfüllten, in-
dem wir für diesen Krieg, der noch nicht zu Ende ist, den wir für einen
gerechten nicht blos in seinem Beginne hielten, sondern in diesem Augenblicke
noch für einen gerechten halten, (Lebhaftes Bravo) und daß wir nur für
die Geltendmachung des Rechte gegen Außen sorgen, indem wir für diesen
Krieg die Mittel bewilligen. Also, meine Herren, fürchten Sie nicht, daß
ich Sie mit advokatischen Ausführungen in Bezug auf die formelle Komxe-
tenz bebelligen werde; aber ich kann es Ihnen nicht ersparen, Ihnen selbst
die schweren Gewissensbedenken vorzulegen, die Sie haben müssen, indem Sie
an dieses Werk herantreten, an ein Werk, das ein Abschluß unserer deutschen
Verfassungebestrebungen sein soll, wie von allen Seiten gesagt wird, das
aber ein Abschluß ist, durch den wir auf einen anderen Weg geführt werden,
als wir ihn seit fünfundzwanzig Jahren unausgesetzt verfolgt haben und
dessen Weiterführung uns verbeißen ist, als wir in den Nordbund kamen,
und dessen Weiterführung in diesem Sinne Jeder als ganz selbstrerständlich
vorausgesetzt hat, als unser Volk jetzt in den Krieg zog. Ja, meine Herren,
ist denn das die Einheit, die wir rorausgesetzt haben, als unsere Brüder in
Nord und Süd gleichmäßig auf das Schlachtfeld eilten, mit gleicher Hin-
gebung unter einem Befehl sich sammelten, mit gleicher Tapferkeit kämpf-
ten und mit gleicher Anedauer diesen Krieg führten? Ist das die richtige
Formuliruug des Zustandes, der in diesem Angenblicke unsere Brüder in
Frankreich unter einem Befehl für eine Aufgabe zusammenhält? Haben
Sie denn hier eine Verfassung vor sich, die Deutschland in der Weise einigt,